Rechtliche Grundlagen, DBA Österreich – Deutschland
Gem Art 15 Abs 1 DBA Österreich-Deutschland dürfen Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit grundsätzlich nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. In diesem Fall kommt dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu. Allerdings enthält Art 15 Abs 2 DBA Ö-D eine Ausnahmeregelung. Demnach bleibt das Besteuerungsrecht für eine im anderen Staat ausgeübte nichtselbständige Tätigkeit beim Ansässigkeitsstaat, wenn
- sich der Empfänger im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahrs aufhält,
- der Arbeitgeber nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist und
- die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat getragen werden.
Sofern alle drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, steht dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für Vergütungen zu, die für eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt werden.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist in Deutschland mit seiner Familie ansässig. Mitte 2012 hat dieser ein Dienstverhältnis mit der A-GmbH begründet, welche in Österreich weder eine Betriebsstätte noch eine feste Einrichtung betreibt. Der Bw erklärte sich in einer Zusatzvereinbarung bereit, die notwendige dauernde Einarbeitungszeit in der B-GmbH in Österreich abzuleisten. Neben dem Wohnsitz in Deutschland verfügte der Bw über einen österreichischen Wohnsitz. Die Wochenenden verbrachte er teilweise in Österreich, teilweise in Deutschland. Der Lohn und die Aufwandsentschädigung während der Einarbeitungsphase wurden ihm von der A-GmbH ausbezahlt; eine diesbezügliche Verrechnung zwischen der A-GmbH und der B-GmbH erfolgte nicht. Die Bezüge aus der im Jahr 2013 in Österreich ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit wurden in Deutschland der Besteuerung unterzogen. Trotzdem schrieb das österreichische Finanzamt dem Bw Einkommensteuer vor.
Streitfrage
Strittig vor dem BFG war, ob das österreichische Besteuerungsrecht durch das DBA Deutschland eingeschränkt wird, konkret, ob die Anwendungsvoraussetzungen des Art 15 Abs 2 DBA Ö-D erfüllt sind und das Besteuerungsrecht hinsichtlich der aus der in Österreich ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit resultierenden Einkünfte Deutschland zukommt oder nicht. Zum Nachweis wurde vom Bw eine Auflistung vorgelegt, wonach sich insgesamt 194 Aufenthaltstage in Deutschland und 168 Aufenthaltstage in Österreich ergaben. Der Bw hat in der Auflistung Tage, an denen er bei Fahrten von Deutschland vor 24:00 Uhr in Österreich angekommen ist, als Aufenthaltstage in Österreich gerechnet, gleichermaßen aber Tage, an denen er bei Fahrten von Österreich nach Deutschland vor 24:00 Uhr in Deutschland war, nur als Aufenthaltstage in Deutschland gezählt. Das BFG hat sich der angewandten Zählweise nicht angeschlossen.
Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts
Nach dem BFG (20.01.2016, RV/1100480/2013) sind zur Berechnung der Dauer des Aufenthalts im Inland solche Tage zu berücksichtigen, an denen sich der Beschwerdeführer tatsächlich (physisch“) im Tätigkeitsstaat (Österreich) aufgehalten hat (siehe auch BFH 12.10.2011, I R 15/11). Dieses Verständnis geht ebenso aus Art 15 des OECD-Musterabkommens hervor. Nach Z 5 des Kommentars zum OECD-Musterabkommen ist mit dem Wortlaut der Bestimmung nur eine einzige Zählweise vereinbar, nämlich die Zählung nach den Tagen der physischen Anwesenheit. Dabei werden folgende Tage mitgezählt: Tage bloßer Teilanwesenheit, der Ankunftstag, der Abreisetag und alle übrigen Tage des Aufenthalts im Tätigkeitsstaat wie Samstage und Sonntage, öffentliche Feiertage, Ferientage vor, während und nach der Tätigkeit, kurze Arbeitsunterbrechungen, etc. Ein Tag an dem der Steuerpflichtige in einem Staat – wenn auch nur kurz – anwesend ist, zählt für die Berechnung des Zeitraums von 183 Tagen in diesem Staat als Anwesenheitstag. Auch Teilanwesenheit am Ankunfts- oder Abreisetag genügt daher.
Folglich zählte das BFG auch alle Tage, an denen der Bw aus Österreich abgereist ist, und alle Tage, an denen er bei der Fahrt von Deutschland die österreichische Grenze noch vor 24:00 Uhr überschritten hat, als (volle) Aufenthaltstage Österreich als Tätigkeitsstaat zu.
Konsequenzen für die Praxis
Nachdem sich der Bw im Jahr 2013 nach der vom BFG vorgenommenen Zählweise jedenfalls mehr als 183 Tage in Österreich aufgehalten hat, ist die Voraussetzung des Art 15 Abs 2 DBA Ö-D nicht erfüllt. Infolgedessen kommt das Besteuerungsrecht nach Art 15 Abs 1 DBA Ö-D dem Tätigkeitsstaat (Österreich) zu. Dass die in Rede stehenden Bezüge in Deutschland bereits versteuert wurden, vermag daran nichts zu ändern, zumal keine Bindung an die von einer ausländischen Steuerbehörde vertretene Auffassung besteht. Zudem geht aus dem vorgelegten deutschen Steuerbescheid auch nicht hervor, wie die Zahl der Aufenthaltstage in Österreich von der deutschen Abgabenbehörde ermittelt wurde. Da die in Deutschland erfolgte Besteuerung nicht im Einklang mit den abkommensrechtlichen Bestimmungen steht, kann eine somit eintretende Doppelbesteuerung nur durch eine entsprechende Entlastung in Deutschland vermieden werden.