Zuzugsbegünstigungen
Zuziehende Wissenschaftler, Forscher, Künstler und Sportler können – unter gewissen Voraussetzungen – eine Zuzugsbegünstigung in Form der Beseitigung steuerlicher Mehrbelastungen beantragen (§ 103 Abs. 1 EStG). Ferner besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Zuzugsfreibetrages (§ 103 Abs. 1a EStG), der jedoch zuziehenden Wissenschaftlern und Forschern vorbehalten ist. Der Zuzugsfreibetrag ist die mit Abstand am häufigsten beantragte Art der Zuzugsbegünstigung. Der Zuzugsfreibetrag beträgt 30 % der Einkünfte aus in- und ausländischer wissenschaftlicher Tätigkeit, soweit diese nach dem Tarif versteuert werden. Der Zuzugsfreibetrag wird per Bescheid für fünf Jahre zuerkannt und beim Lohnsteuerabzug wie auch bei der Veranlagung berücksichtigt. Umstritten war, ob die Gewährung einer Zuzugsbegünstigung lediglich die Begründung eines inländischen (österreichischen) Wohnsitzes (samt Verlagerung des Arbeitsortes) oder auch die Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen nach Österreich voraussetzt. Dazu hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) nun in einem Fall eine Entscheidung gefällt.
Anlassfall
Der Steuerpflichtige beantragte die Zuerkennung des pauschalen Zuzugsfreibetrags für die Jahre 2015 bis 2019. Zum 1.10. 2015 hatte er die Stelle als Universi-tätsprofessor an einer Universität in Österreich angetreten. Zuvor war er an einer Universität in Deutschland beschäftigt gewesen. Der Antrag wurde vom Bun-desminister für Finanzen mit Bescheid abgelehnt, weil die Zuerkennung des Zuzugsfreibetrags sowohl einen inländischen Wohnsitz als auch den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland voraussetze und der Antragsteller seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland behalten habe.
Der Steuerpflichtige erhob gegen den Bescheid Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Fraglich war, ob der Begriff des Zuzugs neben einem inländischen Wohnsitz auch die Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Österreich voraussetze.
Erkenntnis des VwGH (26.2.2020, Ro 2017/13/0018)
Der VwGH (26.2.2020, Ro 2017/13/0018) wies die Revision als unbegründet ab. Dem Gerichtshof zufolge liegt ein Zuzug aus dem Ausland für die Gewährung des Zuzugsfreibetrages „nur bei einer Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen in das Inland [Österreich] vor.“ Die Voraussetzung der Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen erscheint für den VwGH auch geeignet, das Ziel zu erreichen, Wissenschaftler (ua) länger in Österreich zu halten und nicht lediglich ein vorübergehendes Tätigwerden im Inland zu fördern. Außerdem hält der VwGH fest, dass auch bei aufrechtem Bestand eines Nebenwohnsitzes bereits die erstmalige Begründung des Mittelpunkts der Lebensinteressen im Inland für die Inanspruchnahme der Zuzugsbegünstigungen genügt.
Praktische Konsequenzen
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist im nationalen österreichischen Ertragsteuerrecht nicht definiert, es wird jedoch davon ausgegangen, dass inhaltlich an den gleichlautenden DBA rechtlichen Begriff (vgl Art 4 Abs 2 lit c OECD-MA) angeknüpft werden soll. Aus praktischer Sicht problematisch ist allerdings die Tatsache, dass Anträge auf Zuzugsbegünstigungen spätestens sechs Monate nach dem Zuzug einzubringen sind. Die Bestimmung des Mittelpunkts der Le-bensinteressen stellt regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres ab, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum. Im Wegzugsfall (welcher sinngemäß auch für den Zuzugsfall gelten müsste) werden zeitlich begrenzte Auslandstätigkeiten den Mittelpunkt der Lebensinteressen von Österreich weg selbst dann nicht verlegen, wenn die Familie an den Arbeitsort in das Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland allerdings beibehalten wird. Die Frage, wann der Mittelpunkt der Lebensinteressen vom Ausland nach Österreich verlegt wird, ver-agert sich somit von der Rechts- auf die Tatsachenebene.
Unstrittig sind jene Zuzugsfälle in denen die Familie (Ehepartner; Kinder) mit dem Wissenschaftler und Forscher mitzieht und die Wohnung im Ausland aufgegeben wird. (Für einen ledigen Steuerpflichtigen bzw. einen Steuerpflichtigen ohne Kinder wird es i.d.R. einfacher sein, seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen nach Österreich zu verlegen). Abweisungen erfolgen üblicherweise, wenn der Familiennachzug (noch) nicht erfolgt ist. Eine solche Abweisung steht einer erneuten An-tragstellung i.S. der nunmehrigen Diktion des VwGH nicht entgegen, wenn er ausführt, dass ein aufrechter Bestand eines Nebenwohnsitzes bei (späterer) Be-gründung der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich der Inanspruchnahme der Zuzugsbegünstigung nicht abträglich ist.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Zuzug nach Österreich einen Wegzug im anderen Staat nach sich zieht und allfällige steuerliche Konsequenzen im Wegzugsstaat geprüft werden müssen (bei Wegzug aus Deutschland ist z.B. an die fiktive Veräußerungsgewinnbesteuerung für Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nach § 6 dAStG zu denken).
Zusammenfassung
Der VwGH schafft Klarheit hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung des Zuzugsfreibetrags: Zusätzlich zur Begründung eines Wohnsitzes in Österreich muss der Mittelpunkt der Lebensinteressen nach Österreich verlagert werden. Dass ein Zuzug auch die Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteres-sen nach Österreich bedingt, dient laut VwGH dem Ziel, Spitzenkräfte länger in Österreich zu halten und nicht lediglich ein vorübergehendes Tätigwerden im Inland zu fördern.
Das WTS-Team unterstützt und berät gerne bei der Antragsstellung und hat bereits etliche Anträge erfolgreich gestellt.. WTS-Partner Dr. Jürgen Reinold hat gemeinsam mit Frau Univ.-Prof. Dr. Kanduth-Kristen und Mag. Andreas Kampitsch in der SWI 4/2020 zu diesem Erkenntnis einen Beitrag verfasst. Zur Publikation geht es hier.