Deutsche Stiftung als Gesellschaft der Mutter-Tochter-Richtlinie?
An der österreichischen V-GmbH (Beschwerdeführerin) sind zwei deutsche Gesellschaften beteiligt: die deutsche X-VerwaltungsgmbH (mit 1,7%) und die deutsche Y-GmbH&Co KG (mit 98,3%). Kommanditist der Y-GmbH&Co KG ist eine deutsche Familienstiftung. Der Komplementär der Gesellschaft ist weder am Vermögen noch am Ergebnis der Y-GmbH&Co KG beteiligt. Strittig war in diesem Fall, ob die von der österreichischen V-GmbH ausgeschütteten Beteiligungserträge mit dem auf die Y-GmbH&Co KG und damit mit dem auf die Stiftung entfallenden Anteils der KESt unterliegen oder ob diese aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie somit des § 94 Z 2 EStG steuerfrei ausgeschüttet werden können.
Die Finanzverwaltung ging davon aus, dass Stiftungen nicht unter § 94 Z 2 EStG fallen, weil sie nicht zu den in der Anlage 2 zum EStG aufgezählten Gesellschaften gehören. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin falle die Ausschüttung unter den Befreiungstatbestand, weil die deutsche Familienstiftung eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft, die der deutschen Körperschaftssteuer unterliegt, darstellt. Folglich sei sie daher von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfasst, da eine deutsche Familienstiftung unter den Begriff der „Gesellschaft“ nach der Mutter-Tochter-Richtlinie zu subsumieren sei. Des Weiteren führte die Beschwerdeführerin auch aus, dass aus primärrechtlichen Gründen eine Gleichbehandlung mit einer österreichischen Privatstiftung zwingend sei, da die deutsche Stiftung als Gesellschaft iSd Art 54 AEUV anzusehen ist und einen Erwerbszweck erfüllt, sodass die Regelung der Niederlassungsfreiheit zur Anwendung gelange.
Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht
Das Bundesfinanzgericht (BFG 19.05.2020, RV/5100693/2020) hat den vorliegenden Fall zunächst auf Ebene des EU-Sekundärrechts geprüft und anschließend im Lichte des EU-Primärrechts beleuchtet.
a) Ableitung aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union
Das BFG hat somit zuerst untersucht, ob die ausländische Stiftung die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie (Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten) erfüllt und ob die Gestaltung weiters keinen Missbrauch darstellt.
Grundsätzlich sieht die Mutter-Tochter-Richtlinie eine Quellensteuerbefreiung für bestimmte Fälle vor. Ihr vorrangiges Ziel ist es, Dividendenzahlungen und andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaft von Quellensteuern zu befreien und die Doppelbesteuerung auf Ebene der Muttergesellschaft hintanzuhalten.
Die Mutter-Tochter-Richtlinie wurde in Österreich unter anderem in Form des § 94 Z 2 EStG umgesetzt. Laut dieser Bestimmung hat der Abzugsverpflichtete keine Kapitalertragssteuer abzuziehen, wenn es sich um Dividenden und sonstige Bezüge aus Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften handelt. Das gilt auch für ausländische Körperschaften, die die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie erfüllen, wenn die Beteiligung während eines ununterbrochenen Zeitraumes von mindestens einem Jahr bestand hat.
Die Dividenden empfangene Gesellschaft kann nach dem Wortlaut des § 94 Z 2 EStG auch eine ausländische Körperschaft sein. Die Beteiligungsbefreiung hängt davon ab, dass die dividendenempfange ausländische Körperschaft eine EU-Gesellschaft ist, welche die in Anlage 2 des EStG vorgesehenen Voraussetzungen des Artikels 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie erfüllt. Generell verlangt der § 94 Z 2 EStG keine unmittelbare Beteiligung, so dass die Zwischenschaltung einer Personengesellschaft - unabhängig davon, wo diese ansässig ist - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einer Quellensteuerentlastung, dieser nicht entgegensteht.
Grundsätzlich definiert Art 2 Mutter-Tochter-Richtlinie, was unter Gesellschaft eines Mitgliedstaates zu verstehen ist. Um von dem Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst zu sein, muss die Gesellschaft drei Kriterien kumulativ erfüllen:
- Sie muss eine jener Gesellschaftsformen annehmen, die im Annex (Anhang) zu Art 2 Mutter-Tochter-Richtlinie angeführt sind.
- Sie muss in einem Mitgliedsstaat ansässig sein.
- Sie muss einer jener Steuern unterliegen, die in Art 2 Mutter-Tochter-Richtlinie angeführt sind, ohne die Möglichkeit, davon befreit zu sein.
Seit der Änderungsrichtlinie (Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/435/EWG vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaft) wird der Begriff „Gesellschaften“ offenbar sehr weit verstanden, da die Richtlinie die Liste der Gesellschaften um bestimmte Genossenschaften, Vereine auf Gegenseitigkeit, Nichtkapitalgesellschaften, Sparkassen und Vereine, Fonds und gewerblich tätige Vereinigungen erweitert hat. Es war jedoch zu klären, ob auch körperschaftsteuerliche Rechtsgebilde von den Öffnungsklauseln erfasst sein sollen, die vom nationalen Gesetzgeber nicht als „Gesellschaften“ angesehen werden, wie beispielsweise Stiftungen. Es geht aus dem Ratsprotokoll hervor, dass nur quasi-subjektiv befreite Gesellschaften aus dem Anwendungsbereich ausgenommen werden sollen, wie beispielsweise Holding- und Kapitalanlagegesellschaften, die nicht der Körperschaftsteuer im Sitzstaat unterliegen. Die in diesem Sachverhalt vorliegende Familienstiftung ist unbestritten in Deutschland ansässig, unterliegt der deutschen Körperschaftssteuer und würde somit grundsätzlich die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie erfüllen und darunter zu subsumieren sein. Eine deutsche Familienstiftung kann daher grundsätzlich als eine „andere nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft iSd MTR“ angesehen werden.
b) Ableitung aus dem Primärrecht der Europäischen Union
Sollte die Niederlassungsfreiheit anwendbar sein, würde es aufgrund des Umstandes, dass vergleichbare inländische Stiftungen der Steuerbefreiung unterliegen, im Falle des Versagens der Entlastung an der Quelle zu einer Verletzung dieser Grundfreiheit kommen.
Die Niederlassungsfreiheit ist gem Art 54 AEUV unter drei Voraussetzungen auf juristische Personen anzuwenden:
- Es muss sich um eine Gesellschaft handeln.
- Die Gesellschaft muss einen Erwerbszweck verfolgen.
- Sie muss nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates gegründet worden sein und ihren Sitz in der EU haben.
Eine nach deutschem Recht gegründete Familienstiftung ist als Zweckvermögen im engeren Sinn zwar keine Körperschaft, besitzt jedoch eine eigene Rechtspersönlichkeit und ist damit eine Gesellschaft iSd Art 54 AEUV (früherer Art 48 EG).
Wann eine Gesellschaft (insbesondere eine Stiftung) einen Erwerbszweck erfüllt, ist im Einzelfall zu beurteilen. Das bloße Halten von Unternehmensbeteiligungen und eine damit einhergehende Entgegennahme von Dividenden dürften keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. Der EuGH (EuGH 13.4.2000, BaPars, C-251/98; 21.12.2002, X und Y, C-436/00) hat sich dafür ausgesprochen, dass die Niederlassungsfreiheit jedoch anzuwenden ist, wenn an einem Unternehmen eine Kontrollbeteiligung gehalten wird, die dem Inhaber einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung der betreffenden Gesellschaft verleiht und es ihm ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen. Sofern Dividenden somit aufgrund wesentlicher Beteiligungen gezahlt werden, kommt die Niederlassungsfreiheit gem Art 43 EG zur Anwendung, da der Erwerbsvorgang solcher Beteiligungen einen Niederlassungsvorgang darstellt.
Aufgrund der im gegenständlichen Fall vorliegenden Beteiligung von weit über 90% sowie dementsprechender Regelungen in der Satzung der Stiftung bzw. dem Gesellschaftsvertrag der Y-GmbH&Co KG, wird von einer Beteiligung ausgegangen, die der Stiftung sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der KG gewährt und mit der sie deren Tätigkeit bestimmen kann. Die Familienstiftung wurde nach den deutschen Rechtsvorschriften gegründet und ist dort auch ansässig.
Da vergleichbare inländische Stiftungen der Steuerbefreiung unterliegen, würde eine solche Versagung der Entlastung an der Quelle somit jedenfalls zu einer Verletzung der Niederlassungsfreiheit führen, da diese im gegenständlichen Fall zur Anwendung gelangt.
Sowohl die Prüfebene des Sekundärrechts als auch jene des Primärrechts führt dazu, dass Gewinnausschüttungen einer österreichischen GmbH an eine deutsche Familienstiftung steuerfrei sind. Zur Geltendmachung der Vorteile aus der Mutter-Tochter-Richtlinie hätte die Beschwerdeführerin jedoch eine gültige Ansässigkeitsbescheinigung vorlegen müssen, weshalb ihr die KESt-Entlastung im gegenständlichen Fall verwehrt blieb.
Conclusio
Das BFG stellt somit in dieser Entscheidung klar, dass grundsätzlich die Möglichkeit der Entlastung einer deutschen Stiftung in Bezug auf den KESt-Abzug (Qullensteuerbefreiung) besteht, weil eine deutsche Familienstiftung grundsätzlich die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie erfüllen kann. Voraussetzung ist, dass eine gültige Ansässigkeitsbescheinigung der deutschen Familienstiftung vorliegt.