Als Progressionsvorbehalt werden grundsätzlich jene Bestimmungen bezeichnet, die eine Berücksichtigung der aus der inländischen Bemessungsgrundlage auszuscheidenden Teile des Welteinkommens für Zwecke der Tarifermittlung ermöglichen. Dabei werden jene Teile des Einkommens, die in Anwendung von DBA in der österreichischen Besteuerungskompetenz verbleiben, mit dem Steuersatz besteuert, der auf das gesamte Welteinkommen (alle in- und ausländischen Einkünfte) entfällt.
Bislang ging die Finanzverwaltung davon aus, dass es bei unbeschränkt steuerpflichtigen „DBA-Ausländern“, welche bloß aufgrund eines Nebenwohnsitzes (Zweitwohnsitzes) in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig (dh grundsätzlich steuerpflichtig mit dem Welteinkommen) sind und deren abkommensrechtliche Ansässigkeit in einem anderen DBA-Staat liegt, zu keinem Progressionsvorbehalt in Österreich kommen kann (EStR 2000 Rz 7595 idF vor WE 2023; EAS 2902 vom 11.12.2007).
a) VwGH-Erkenntnis (7. 9. 2022, Ra 2021/13/0067)
Der VwGH hat im Erkenntnis vom 7.9.2022, Ra 2021/13/0067, dieser Verwaltungsmeinung widersprochen und klargestellt, dass die Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt im Sinne des DBA trotz Fehlens einer ausdrücklichen Erwähnung in den §§ 1 Abs 2 und 33 EStG zu finden ist. Die Steuerpflicht von in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Personen erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte (Welteinkommensprinzip). Da sich der Steuersatz gem § 33 EStG nach dem (Gesamt)Einkommen bemisst, wird laut Rsp aus diesen Bestimmungen die innerstaatliche Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt abgeleitet (VwGH 7.9.2022, Ra 2021/13/0067; VwGH 10. 5. 2021, Ra 2020/15/0111; VwGH 24. 5. 2007, 2004/15/0051; VwGH 29. 7. 2010, 2010/15/0021). Ein Progressionsvorbehalt würde nur dann unterbunden werden, wenn dies das konkrete DBA anordnet. In der Regel stehen die DBA der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat aber nicht entgegen
b) Einkommensteuerrichtlinien-Wartungserlass 2023
Die Entscheidung des VwGH wurde im Zuge des Wartungserlasses 2023 in die Einkommensteuerrichtlinien eingearbeitet (EStR 2000 Rz 7595 idF nach WE 2023). Somit ist nun auch nach Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung ab der Veranlagung 2023 bei unbeschränkt steuerpflichtigen „DBA-Ausländern“ ein Progressionsvorbehalt vorzunehmen. Das führt dazu, dass – trotz Ansässigkeitsstatus in Österreich lt dem jeweiligen DBA – für die Berechnung des österreichischen Tarifsteuersatzes neben den inländischen Einkünften nun auch die ausländischen Einkünfte miteinbezogen werden müssen.
Für beschränkt Steuerpflichtige sehen die Einkommensteuerrichtlinien (weiterhin) keinen Progressionsvorbehalt vor.
c) Ausnahme: Anwendbarkeit der Zweitwohnsitzverordnung
Entfällt die unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich aufgrund der Zweitwohnsitzverordnung (BGBl II Nr 528/2003), erfolgt (weiterhin) kein Progressionsvorbehalt (EStR 2000 Rz 7595 idF nach WE 2023).
Damit die Zweitwohnsitzverordnung angewendet werden kann,
In diesem Fall begründet der Zweitwohnsitz keinen Wohnsitz iSd § 1 Abs 2 EStG und führt daher nicht zur unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich.
Ab der Veranlagung 2023 müssen natürliche Personen, die in Österreich aufgrund eines Neben- oder Zweitwohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig sind, abkommensrechtlich aufgrund des Mittelpunkts der Lebensinteressen aber im Ausland ansässig sind, einen Progressionsvorbehalt in Österreich berücksichtigen. Das bedeutet, dass der österreichische Tarifsteuersatz bei „DBA-Ausländern“ zukünftig anhand der inländischen und ausländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen berechnet wird, und daher aufgrund eines höheren Tarifsteuersatzes zu einer höheren Steuerbelastung führen wird.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Nichtangabe von zwar lt DBA steuerfreien, aber progressionswirksamen Auslandseinkünften unter Umständen auch finanzstrafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann und vor dem Hintergrund des automatisierten Informationsaustausches innerhalb der Europäischen Union jedenfalls nicht zu empfehlen ist.
Autor: Marie-Christin Inzinger
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