Prozessmodellierung und bildgebende Verfahren
Sonographie oder umgangssprachlich „Ultraschall“ ist ein bildgebendes Verfahren mit einer Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise kann es zur medizinischen Diagnostik von organischem Gewebe eingesetzt werden. Sie ermöglicht dem Arzt innere Organe unter anderem in ihrer Größe, Form, Lage und Zusammensetzung zu beurteilen, ohne einen invasiven Eingriff vorzunehmen. Vorteilhaft ist insbesondere die Unschädlichkeit der eingesetzten Schallwellen, sodass auch sensible Gewebe bei Ungeborenen nicht beschädigt werden und die Untersuchung völlig schmerzfrei verläuft. Aufgrund dieser Möglichkeiten wird die Sonographie heute als Technik in einer Vielzahl von medizinischen Fachgebieten eingesetzt. Neben Anwendungen in der Medizin finden sich aber auch Anwendungen in der Industrie wie beispielsweise der Materialprüfung oder dem Militär zur Ortung von Unterseebooten.
Auch Abläufe und Strukturen innerhalb von betrieblichen Organisationen sind zunächst nicht unmittelbar wahrnehmbar. Ein wesentliches Werkzeug bildet die Modellierung betrieblicher Abläufe wie es beispielsweise mithilfe der Business Process Modeling Notation (BPMN) oder anderer Verfahren möglich wird. Derartige Diagramme zur Visualisierung von Prozessen ermöglichen es, Abläufe im Unternehmen sichtbar und damit gestaltbar zu machen. Klassische Modellierungsansätze haben indes den Nachteil, dass sie häufig nicht die tatsächlichen, sondern idealisierte oder nicht reale Abläufe im Unternehmen darstellen.
Process Mining schafft Transparenz
Dagegen ermöglicht Process Mining die tatsächlichen Abläufe sichtbar zu machen, indem Datenspuren aus IT-Systemen genutzt und systematisch aufbereitet werden. Idealtypische Grundlage bilden die Datenspuren wie sie sich in Workflow-Systemen finden. Allerdings sind die vorhandenen technischen Verfahren nicht darauf beschränkt, sondern es gibt eine Fülle weitere Systeme in der betrieblichen Praxis, die für das Process Mining nutzbar gemacht werden können: ERP-, SCM-, CRM-, individuelle Anwendungs- und sonstige IT-Systeme, in denen sich Spuren von betrieblichen Prozessen finden (vorhandene Vorsysteme, E-Mail, Tracking-Systeme etc.).
Mit anderen Worten: Während in den Anfängen des Geschäftsprozessmanagements betriebliche Abläufe im Wesentlichen manuell erhoben, analysiert und weiterentwickelt wurden, sind inzwischen vielfältige Techniken verfügbar, welche die Prozesserhebung maschinell unterstützen und in Teilen sogar automatisieren. So ist die Idee von Process Mining, betriebliche Abläufe aus Logdaten betrieblicher Anwendungen automatisiert aufzudecken. Derartige Verfahren nutzen Ansätze der Künstlichen Intelligenz (KI), die an der Schnittstelle zum Prozessmanagement vielfältige Potentiale entfalten. Zu nennen sind insbesondere maschinelle Lernverfahren, die in betrieblichen Prozessdaten relevante Muster, Zusammenhänge oder Regeln identifizieren. Derartige Technologien haben mit der Verfügbarkeit großer Datenmengen, spezialisierte Prozessoren und leistungsfähige KI-Basistechnologien eine erhebliche Anwendungsreife erreicht.
Process Mining kann inzwischen auch für den Steuerbereich eingesetzt, um steuerlich relevante Abläufe sichtbar zu machen. Dabei bieten sich insbesondere Prozesse an, die häufig durchlaufen werden, an denen viele Akteure beteiligt sind, die eine gewisse Grundstruktur haben, aber Ausnahmen oder sonstige Besonderheiten beinhalten. Typische Beispiele sind: Umsatzsteuer, Zoll, Lohnsteuer, Verrechnungspreise, betriebliche Außenprüfungen etc.
Compliance- und Entscheidungsautomatisierung
Während die Schaffung einer Transparenz über steuerrelevante Abläufe ein erhebliches Potential eröffnet, existiert inzwischen unter dem Oberbegriff Tax Process Mining eine Fülle weiterer technischer Möglichkeiten zur quantitativen Analyse steuerlich relevanter Daten. Zu nennen sind insbesondere zwei Anwendungsgebiete:
- Compliance-Prüfung der steuerrelevanten Abläufe: Der aufgedeckte reale Prozessablauf (de-facto Prozessmodell) kann dem juristisch geforderten Ablauf (de-jure Prozessmodell) gegenübergestellt und automatisiert im Hinblick auf Abweichungen analysiert werden.
- Entscheidungsautomatisierung: Ausgehend von historisch beobachteten Abläufen können Vorhersagen über künftige Abläufe getroffen und Entscheidungen automatisiert werden. Diese Anwendungen werden unter dem Stichwort vorausschauende Prozessüberwachung diskutiert und gewinnen gerade enorm an Bedeutung. Kernidee ist es, ausgehend von bereits ausgeführten Prozessinstanzen Vorhersagen über zukünftige Prozessabläufe zu gewinnen. Typische Fragen, die hierbei eine Rolle spielen sind:
- Prozessschritte: Wie entwickelt sich der Prozessfall voraussichtlich weiter?
- Zeiten bis zur Fertigstellung: Wann wird der Prozessfall abgeschlossen sein?
- Erwartete Ergebnisse: Welches Prozessergebnis ist zu erwarten? Treten Fehler, Risiken oder Anomalien auf?
- Prozessdrift: Sind signifikante Abweichungen in einem Prozessfall zu beobachten? Wie entwickeln sich die Prozessfälle in ihrer Gesamtheit über die Zeit, welche Dynamik entsteht im Zeitablauf?
Das Navigationsgerät als Assistent des Steuerberaters der Zukunft
Der Einsatz von Tax Process Mining führt aber nicht nur dazu, dass typische steuerfachliche Aufgaben automatisiert werden, sondern dass eine umfassende Assistenz dem Steuerberater der Zukunft zur Planung, Steuerung und Überwachung aller steuerlich relevanten Abläufe zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Vision eines KI-basierten Assistenten des Steuerberaters kann durch die Idee eines Navigationsgerätes deutlich gemacht werden, das inzwischen als Fahrassistent vielen Autofahrern wertvolle Unterstützung bietet.
Abbildung 1: Das Steuer-Navigationsgerät
Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Funktionalität eines derartigen Steuer-Navigationsgerätes der Zukunft.
- Zieleingabe: Die Eingabe eines konkreten Geschäftsvorfalls kann der Ausgangspunkt für eine Unterstützungsleistung sein. Beispielsweise kann eine eingegangene Rechnung oder die Planung eines Mitarbeiter-Events der Ausgangspunkt sein.
- Karte: Die zuvor eingesetzten Methoden der Prozessmodellierung und des Tax Process Mining geben einen Überblick über die geplanten oder die tatsächlich steuerlich relevanten Abläufe im Unternehmen.
- 2D-3D-Kartenansicht: Die im Prozessmodell dargestellten Sichten können eine Organisations- oder IT-Systemsicht umfassen. Auch ist es denkbar, spezielle Sichten für die Betriebsprüfung zur Verfügung zu stellen.
- Zoom: Betriebliche Abläufe können auf unterschiedlichen Detaillierungsgraden visualisiert werden: von einer kleinteiligen Detailsicht einzelner Arbeitsschritte bis hin zu einer hoch-aggregierten Wertschöpfungssicht über einzelne Betriebsstätten eines Konzerns.
- Länderauswahl: Die Auswahl kann im eigentlichen Sinne eine Länderauswahl im Unternehmen darstellen. Aber auch die Teilselektion auf bestimmte Steuerarten wie Umsatz- oder Lohnsteuer, Verrechnungspreise, Zoll etc. sind frei wählbar.
- Navigationsempfehlung: Eine Vorschlagskomponente bietet Hinweise für die Bearbeitung des Geschäftsvorfalls, beispielsweise können bestimmte Steuerdeklaration vorgeschlagen werden.
- Ankunft: Die voraussichtliche Bearbeitungsdauer des Geschäftsvorfalls wird angezeigt.
- Radar- und Tempowarnung: Drohende Compliance-Verstöße oder geplante Tiefenprüfungen werden rechtzeitig systemseitig gemeldet.
- Staumeldung: Falls es bei der Bearbeitung steuerlich relevanter Abläufe zu Bearbeitungsengpässen kommt, wird dies frühzeitig signalisiert.
- GPS-Position: Aktuelle Schlüssel-Kennzahlen zu Prozessen wie Zeit, Dauer, Kosten und Qualität werden in Echtzeit eingeblendet und stehen zur Verfügung.
- Fahrpräferenzen: Anwenderspezifische Besonderheiten wie die Bearbeitung eines Eilauftrages im Unterschied zu einer Standardbearbeitung können eingestellt und gewählt werden.
- Erklärung für Neuplanung: Nachvollziehbare Erklärungen und Hinweise für Umplanungen von Routen sind von elementarem Nutzen. Ähnlich muss ein solches Steuer-Navigationsgerät über die Fähigkeit verfügen, die Gestaltungsempfehlungen mithilfe von Selbsterklärungskomponenten zu erläutern.
Zurzeit ist das skizzierte Steuer-Navigationsgerät noch nicht am Markt erhältlich, aber eine Fülle der skizzierten Funktionalitäten ist schon jetzt einsetzbar.