Die Heubeck AG veröffentlichte am 20.07.2018 die neuen Richttafeln RT 2018 G zur Bewertung von Altersversorgungsverpflichtungen. Diese sollen in Zukunft die alten Richttafeln RT 2005 G ersetzen. Da die bloße Herausgabe der Richttafeln durch die Heubeck AG jedoch keine Gesetzeskraft hat, stellt sich die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt eine Verpflichtung besteht, diese in HGB- und IFRS-Abschlüssen zu verwenden. Hierzu hat der Hauptfachausschuss (HFA) des IDW in einem am 05.09.2018 veröffentlichten Schreiben Stellung genommen.
Vernünftige kaufmännische Beurteilung bzw. best estimate
Gemäß den handelsrechtlichen Vorschriften sollen die Annahmen zur Bewertung von Altersversorgungsverpflichtungen (und vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen) so getroffen werden, dass diese einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung des Unternehmens entsprechen. Ähnlich wird dies in den IFRS dargestellt: Versicherungsmathematische Annahmen sollen so getroffen werden, dass diese die bestmögliche Schätzung („best estimate“) für das Unternehmen darstellen. Tabellenwerke werden dann als vernünftige kaufmännische Beurteilung und bestmögliche Schätzung angesehen, wenn diese allgemein anerkannt sind und bessere Schätzwerte beinhalten als die bislang von den Unternehmen zugrunde gelegten Tabellenwerke.
Veröffentlichung des BMF-Schreibens als Indikator für die allgemeine Anerkennung
Als Indikator für eine allgemeine Anerkennung wird regelmäßig die Anerkennung der neuen Richttafeln für ertragsteuerliche Zwecke durch das BMF gesehen, aber auch die Validierung und Implementierung der neuen Richttafeln durch die Rechnungslegungspraxis, insb. die Aktuare. Das diesbezügliche BMF-Schreiben wird vom IDW spätestens im Oktober 2018 erwartet. Eine Aussage des BMF gibt es dazu jedoch nicht.
Bezüglich der Pflicht zur Anwendung der neuen Richttafeln RT 2018 G unterscheidet der HFA grundsätzlich zwei Fälle:
Verpflichtende Anwendung
In allen Jahres- und Konzernabschlüssen, deren Stichtag nach dem Tag der Veröffentlichung des BMF-Schreibens liegt, sind die neuen Richttafeln zur Bewertung von Altersversorgungsverpflichtungen grundsätzlich verpflichtend anzuwenden. Das gleiche gilt für Abschlüsse, deren Stichtag zwar vor dem Tag der Veröffentlichung des BMF-Schreibens liegt, deren Aufstellung aber erst nach der Veröffentlichung des BMF-Schreibens beendet wird. Sollten die neuen Richttafeln in den vorgenannten Fällen noch nicht angewendet werden, muss eine Begründung dafür im Anhang angegeben werden. Hier könnte beispielsweise die noch nicht hinreichend durch die Rechnungslegungspraxis erfolgte Validierung und Implementierung der neuen Richttafeln vorgebracht werden, oder dass das Unternehmen im speziellen Fall keine wesentlichen Änderungen im Vergleich zu den bereits individuell modifizierten Richttafeln RT 2005 G erwartet.
Freiwillige Anwendung
Für Jahres- und Konzernabschlüsse, deren Stichtag und Aufstellungszeitraum vor dem Tag liegt, an dem das zu erwartende BMF-Schreiben auf der Website des BMF veröffentlicht wird (d.h. insb. für Abschlussstichtage zum 30.06.2018 oder früher), kommt nach Auffassung des HFA ggf. eine freiwillige Anwendung der neuen Richttafeln vor Veröffentlichung des BMFSchreibens in Betracht. So kann durch die Begründung, dass die neuen Richttafeln die wirtschaftliche Belastung am Stichtag zutreffender abbilden als die alten, die Anwendung auch vor der allgemeinen Anerkennung gerechtfertigt werden.
Die Anwendung der neuen Richttafeln RT 2018 G für Jahres- und Konzernabschlüsse sowohl nach HGB als auch nach IFRS mit dem Stichtag 31.12.2018 dürfte somit verpflichtend sein, sofern das diesbezügliche BMF-Schreiben noch im Jahr 2018 auf der Website des BMF veröffentlicht wird.
Keine verpflichtende Anwendung in IFRS-Zwischenabschlüssen
In IFRS-Zwischenabschlüssen gibt es – unabhängig vom Beendigungsdatum der Abschlüsse – nach Auffassung des HFA keine Verpflichtung zur Anwendung der neuen Richttafeln RT 2018 G. Grund dafür ist einerseits, dass oftmals die Extrapolation der letzten versicherungsmathematischen Bewertung ausreichend ist. Eine Anpassung der Pensionsverpflichtungen aufgrund von „signifikanten Marktfluktuationen“ (IAS 34 IE.B9) ist ebenfalls nicht nötig, da die neuen Richttafeln langfristige Entwicklungen abbilden.
Ertragsteuerliche Anwendung
Für ertragsteuerliche Zwecke wird im BMF-Schreiben eine Anwendungsregelung analog zur Veröffentlichung der Richttafeln 2005 G am 06.07.2005 erwartet. Das damalige Anwendungsschreiben erging am 16.12.2005. Zur zeitlichen Anwendung enthielt dieses BMF-Schreiben folgende Regelung: „Die „Richttafeln 2005 G“ können erstmals der Bewertung von Pensionsrückstellungen am Ende des Wirtschaftsjahres zugrunde gelegt werden, das nach dem 06.07.2005 (Tag der Veröffentlichung der neuen Richttafeln) endet. Der Übergang hat einheitlich für alle Pensionsverpflichtungen und alle sonstigen versicherungsmathematisch zu bewertende Bilanzposten des Unternehmens zu erfolgen. Die „Richttafeln 1998“ können letztmals für das Wirtschaftsjahr verwendet werden, das vor dem 30.06.2006 endet.“ Sollte die Finanzverwaltung auf die neuen Richttafeln RT 2018 G analog 2005 reagieren, so hätte ein Unternehmen mit Bilanzstichtag zum Jahresende ein Wahlrecht, ob die Einführung der neuen Richttafeln RT 2018 G am 31.12.2018 oder am 31.12.2019 erfolgt. Bei Bilanzstichtag 30.09. ergäbe sich ein Wahlrecht, ob die Einführung der neuen Richttafeln am 30.09.2018 oder am 30.09.2019 erfolgt.
Auswirkungen auf die Abschlüsse
Es wird erwartet, dass die Pensionsrückstellungen auf Grund der Anwendung der neuen Richttafeln in der Handelsbilanz im Durchschnitt um ca. 2 % steigen; damit dürften die Auswirkungen der neuen Richttafeln insgesamt geringer sein als bei der letzten Aktualisierung im Jahr 2005. Der Einmaleffekt aus der Umstellung auf die neuen Richttafeln muss – anders als in der Steuerbilanz – sofort in voller Höhe ergebniswirksam erfasst werden. In IFRS-Abschlüssen sind die sich bei erstmaliger Anwendung der neuen Richttafeln infolge der Änderung von versicherungsmathematischen Annahmen ergebenden Gewinne oder Verluste erfolgsneutral im sonstigen Ergebnis („other comprehensive income“) zu erfassen.