Betriebsstätte als Constituent Entity
Das OECD-Regelwerk zur globalen Mindestbesteuerung vom 20.12.2021 definiert auch Betriebsstätten als Constituent Entities. Betriebsstätten sind damit getrennt vom übrigen Unternehmen (sog. Main Entity) zu behandeln. Dementsprechend umfasst das OECD-Regelwerk auch Mustervorschriften mit Bezug zu Betriebsstätten. Trotz der Konkretisierung der Mustervorschriften durch den OECD Kommentar vom 14.03.2022 gibt es bei der Definition von Betriebsstätten nach dem neuen OECD-Regelwerk noch einige offene Anwendungsfragen.
Definition der Betriebsstätte durch vier Szenarien
Bei der Definition der Betriebsstätte unterscheidet das OECD-Regelwerk zwischen vier Szenarien (Szenarien (a) bis (d)). Diese Unterscheidung ist nur für die Anwendung der sog. GloBE-Regeln (Global Anti-Base Erosion Rules) heranzuziehen. Die Definition der Betriebsstätte im OECD-Regelwerk zu Pillar Two beeinflusst weder die Definition oder die Interpretation des Begriffs der Betriebsstätte im jeweils geltenden bi- oder unilateralen Recht noch die Definition oder die Interpretation des Begriffs für Zwecke des Country-by-Country-Reporting. Sollte keines der vier Szenarien einschlägig sein, liegt für Pillar Two keine Betriebsstätte der Main Entity vor.
Szenario (a): DBA-Fall
Szenario (a) liegt vor, wenn eine Betriebsstätte nach einem anzuwendenden DBA besteht (DBA-Fall) und die Betriebsstätte nach einer dem Art. 7 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) vergleichbaren Regelung besteuert werden kann. Dabei ist nicht erforderlich, dass die einschlägige DBA-Regelung dem Wortlaut des OECD-MA von 2017 entspricht. Die einschlägige DBA-Regelung kann beispielsweise auch dem Art. 7 OECD-MA von 2008 oder der Regelung des UN-Musterabkommens entsprechen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Unternehmensgewinne im Betriebsstättenstaat nach dem DBA auch als Unternehmensgewinne besteuert werden können. Betriebsstätten von internationalen Seeschifffahrt- und Luftfahrtunternehmen, deren Gewinne nach einer dem Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 4 OECD-MA vergleichbaren Regelung besteuert werden, fallen daher nicht unter das Szenario (a).
Szenario (a) auch bei abweichender Besteuerung?
Fraglich ist in Szenario (a), ob die Besteuerung der Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat auch zwingend in Übereinstimmung mit dem DBA erfolgen muss. Beispielsweise werden Bau- und Montagebetriebsstätten oder Dienstleistungsbetriebsstätten in China im Regelfall nach der Deemed Profit-Methode besteuert. Dabei wird der Umsatz mit einem bestimmten Prozentsatz multipliziert (Bruttobesteuerung). Das DBA-China sieht aber auch eine Nettobesteuerung vor. Die Bruttobesteuerung führt unabhängig von den GloBE-Regelungen regelmäßig zu erheblichen Abweichungen bei der Gewinnaufteilung zwischen inländischen Unternehmen und chinesischen Betriebsstätten, da der Freistellung in Deutschland grundsätzlich eine direkte Gewinnermittlung auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zugrunde zu legen ist. Eine Bruttobesteuerung, die dem DBA widerspricht, sollte aber nicht dazu führen, dass Szenario (a) nicht einschlägig ist, da der Steuerpflichtige grundsätzlich die Möglichkeit hätte, eine Nettobesteuerung in Übereinstimmung mit dem DBA durchzusetzen. Dass dies in der Praxis teilweise äußert schwer durchzusetzen ist, ändert daran nichts.
Szenario (a) auch bei Nicht-Besteuerung?
Fraglich ist in Szenario (a) auch, ob überhaupt eine Besteuerung der Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat erfolgen muss. Würde Szenario (a) eine Besteuerung durch den Betriebsstättenstaat voraussetzen, wäre Szenario (d) einschlägig, wenn die Einkünfte der Betriebsstätte im Ansässigkeitsstaat der Main Entity freigestellt werden (siehe Ausführungen zu Szenario (d) und den zusammenfassenden Entscheidungsbaum am Ende des Beitrags). Wenn die Nicht-Besteuerung im DBA-Betriebsstättenstaat auf ein fehlendes Körperschaftsteuersystem zurückzuführen wäre, käme es dadurch im DBA-Fall (Szenario (d)) zu einer anderen Einordnung als im Nicht-DBA-Fall. Im Nicht-DBA-Fall wäre aufgrund des fehlenden Körperschaftsteuersystems Szenario (c) einschlägig. Die Betriebsstätte würde daher im DBA-Fall als staatenlos gelten, im Nicht-DBA-Fall hingegen als im Betriebsstättenstaat ansässig (siehe hierzu die Ausführungen zur Lokalisierung von Betriebsstätten). Vor dem Hintergrund der sich ergebenden unterschiedlichen Rechtsfolgen dürfte es nicht darauf ankommen, ob im Betriebsstättenstaat überhaupt eine Besteuerung erfolgt.
Szenario (b): Nicht-DBA-Fall
Szenario (b) betrachtet den Nicht-DBA-Fall. Szenario (b) ist einschlägig, wenn eine Betriebsstätte nach dem nationalen Recht des Betriebsstättenstaats besteht und die Betriebsstätte auf eine vergleichbare Art und Weise wie ein Steuerinländer auf Nettobasis besteuert wird. Betriebsstätten, die auf Bruttobasis besteuert werden, sind nicht von Szenario (b) umfasst.
Szenario (c): Kein Körperschaftsteuersystem
Szenario (c) bezieht sich auf Staaten, die kein Körperschaftsteuersystem haben. Szenario (c) ist einschlägig, wenn eine Betriebsstätte nach dem jeweils geltenden OECD-MA bestehen würde und das Besteuerungsrecht nach Art. 7 OECD-MA dem Betriebsstättenstaat zustehen würde. Szenario (c) erfordert demnach eine hypothetische Analyse, ob eine Betriebsstätte bestehen und welchem Staat das Besteuerungsrecht zustehen würde. Aus der Systematik des Regelwerks und dem Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass das Szenario (c) wie das Szenario (b) ausschließlich den Nicht-DBA-Fall betrachtet.
Szenario (d) als Auffangtatbestand
Bei Szenario (d) handelt es sich um eine Art Auffangtatbestand. Szenario (d) liegt vor, wenn Geschäftstätigkeiten außerhalb des Ansässigkeitsstaats der Main Entity durch eine feste Geschäftseinrichtung durchgeführt werden und der Ansässigkeitsstaat der Main Entity die Einkünfte aus diesen Geschäftstätigkeiten freistellt. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn keines der Szenarien (a) bis (c) einschlägig ist, der Ansässigkeitsstaat der Main Entity die Einkünfte aber dennoch von der Besteuerung ausnimmt. Für eine deutsche Main Entity dürfte es aufgrund des Welteinkommensprinzips und mangels unilateraler Freistellung keine Anwendungsfälle geben. Zu beachten ist aber, dass eine deutsche sog. Ultimate Parent Entity („UPE“) auch ausländische Betriebsstätten von ausländischen Main Entities (Outside-Fall) bei der Ermittlung des GloBE-Einkommens berücksichtigen muss. In diesen Fällen kann es durchaus Anwendungsfälle für Szenario (d) geben. So wäre beispielsweise Szenario (d) einschlägig, wenn (i) der Ansässigkeitsstaat der Main Entity nach dem Territorialitätsprinzip besteuert und dementsprechend ausländische Einkünfte von der Besteuerung freistellt und (ii) der Quellenstaat die Einkünfte nicht besteuert, weil beispielsweise der Betriebsstättentatbestand nicht erfüllt ist.
Lokalisierung von Betriebsstätten
Betriebsstätten der Szenarien (a) bis (c) gelten für Zwecke der GloBE-Regelungen als im Betriebsstättenstaat ansässig. Die Einkünfte dieser Betriebsstätten können mit den Einkünften anderer Constituent Entities in diesem Staat zusammengefasst werden (Jurisdictional Blending). Betriebsstätten des Szenarios (d) gelten hingegen als staatenlos. Die Einkünfte dieser Betriebsstätten können nicht mit den Einkünften anderer Constituent Entities in diesem Staat oder mit anderen staatenlosen Constituent Entities zusammengefasst werden (kein Jurisdictional Blending).
Entscheidungsbaum
Der nachstehende Entscheidungsbaum fasst die Unterscheidung der Betriebsstätten nach dem OECD Regelwerk zur globalen Mindestbesteuerung nochmal zusammen.