Unter Scheinselbständigkeit versteht man im Allgemeinen die Tätigkeit eines „Selbständigen“, der tatsächlich aber Arbeitnehmer ist. Gemeint sind damit Erwerbstätige, die als Selbständige bezeichnet und damit rechtlich auch so behandelt werden – also formal Selbständige sind –, aber die wie abhängig Beschäftigte arbeiten.
Die Beurteilung, ob eine Tätigkeit als selbstständige Tätigkeit oder im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Für die Abgrenzung von nicht selbstständiger Tätigkeit gegenüber einer selbstständigen Erwerbstätigkeit kommt es darauf an, ob ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis des Auftragnehmers gegenüber einem Auftraggeber infolge der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation besteht. Typisches Merkmal dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist die Weisungsbefugnis des Auftraggebers über Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der Tätigkeit.
Selbständige sind grundsätzlich nicht zur Zahlung von Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträgen verpflichtet. Abhängig Beschäftigte hingegen unterliegen der Sozialversicherungspflicht.
Bei einer fehlerhaften Beurteilung sind die Konsequenzen einer Scheinselbständigkeit, insbesondere für die Arbeitgeber, immens. Sozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge können bis zu vier Jahren und bei vorsätzlichem Vorenthalten sogar bis zu 30 Jahren rückwirkend zurückgefordert werden.
Scheinselbständige in Kanzleien: BGH sieht Straftat
In einem jüngst ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wurde ein Kanzleiinhaber nun auch strafrechtlich wegen Vorenthalten und Veruntreuung der Sozialabgaben seiner Mitarbeiter verurteilt (Urteil vom 08. März 2023).
Ein Kanzleiinhaber arbeitete mit zwölf Rechtsanwälten auf Basis der selbständigen freien Mitarbeit zusammen. Die Parteien schlossen einen sog. „freien Mitarbeitervertrag“, der die Rechtsanwälte verpflichtet, ihre Sozialabgaben selbst abzuführen. Während ihrer Tätigkeit arbeiteten die Rechtsanwälte ausschließlich für die Kanzlei und erhielten auch nur von dort ihre Mandate. Ihre Arbeit erledigten sie nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten für dessen Nutzung keine Kosten anfielen. Unabhängig vom erwirtschaften Umsatz stellten die Rechtsanwälte einmal im Monat ihre Arbeit in Rechnung.
Der BGH nahm den Fall zum Anlass, sich mit der Abgrenzung von abhängiger und selbständiger Tätigkeit auseinander zu setzen. Im vorliegenden Fall entschied das BGH, dass die Rechtsanwälte im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig waren.
Der Kanzleiinhaber wurde wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt. Dass die Beiträge durch seine Angestellten gezahlt wurden, lässt den Tatbestand nicht entfallen.
Kein Ausschluss von Sozialversicherungspflicht durch Vertragsbeziehung mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaft
Das Bundessozialgericht (BSG) entschied am 20. Juli 2023, dass eine Tätigkeit nicht allein deshalb schon als selbständig anzusehen ist, wenn Verträge nur zwischen der Ein-Personen-Kapitalgesellschaft und dem Auftraggeber bestehen. Entscheidend sind die konkreten Umstände der Tätigkeit. Stellt sich die Tätigkeit einer natürlichen Person nach deren tatsächlichem Gesamtbild als abhängige Beschäftigung dar, ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht deshalb ausgeschlossen, weil Verträge nur zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft bestehen, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist.
Die natürlichen Personen waren alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften (UG und GmbH). Mit diesen Kapitalgesellschaften schlossen Dritte Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. In zwei Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses, im dritten Fall um eine beratende Tätigkeit. Tatsächlich erbracht wurden die Tätigkeiten ausschließlich von den natürlichen Personen. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte in allen Fällen Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest.
Die hiergegen gerichteten Revisionen hatten keinen Erfolg. Wie in anderen Statusverfahren auch entscheiden die jeweiligen konkreten tatsächlichen Umstände der Tätigkeit nach einer Gesamtabwägung über das Vorliegen von Beschäftigung. Daran ändert der Umstand nichts, dass Verträge nur zwischen den Auftraggebern und den Kapitalgesellschaften geschlossen wurden.
Handlungsempfehlung
Mit einem Statusfeststellungsverfahren können sich Beteiligte Rechtssicherheit über den Erwerbsstatus verschaffen. Können Auftraggeber und/oder Auftragnehmer den Status der Erwerbstätigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, kann ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, eingeleitet werden.
Dass nun auch – gegebenenfalls vermehrt - strafrechtliche Folgen drohen, zeigt, dass die richtige Einordnung Ihrer freien Mitarbeiter wichtiger ist denn je. Auch die Grün-dung einer sog. Ein-Mann-GmbH schützt nicht vor Scheinselbständigkeit.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung Ihrer sozialversicherungsrechtlichen Pflichten in der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern.
