Mit der Änderung der Stromsteuer-Durchführungsverordnung und der Energiesteuer-Durchführungsverordnung zum 01.01.2018 wurden die Aufzeichnungspflichten für Stromversorger und Erdgaslieferanten erweitert. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 StromStV bzw. § 79 Abs. 2 S. 1 EnergieStV hat der Versorger bzw. der anmeldepflichtige Erdgaslieferer Aufzeichnungen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu führen. Anstelle der amtlich vorgeschriebenen Vordrucke kann das Hauptzollamt betriebliche Aufzeichnungen, einfachere Aufzeichnungen oder einen belegmäßigen Nachweis zulassen (jeweils Satz 4 der oben genannten Vorschriften).
Die Änderung wirkt bereits auf den ersten Blick befremdlich. In Zeiten der Digitalisierung und der Diskussion über die Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz im Steuerbereich werden amtliche Vordrucke als Regelfall in die Verordnung aufgenommen. Betriebliche Aufzeichnungen in elektronischer Form, wie sie bei Massenprozessen großer Stromversorger und Erdgaslieferanten notwendig sind, benötigen dagegen eine Zulassung durch die Finanzbehörden.
Auf den zweiten Blick wirkt die Änderung zudem unnötig. Bereits vor dem 31.12.2017 konnte das zuständige Hauptzollamt Anordnungen zu den Aufzeichnungen treffen und weitere Aufzeichnungen vorschreiben. Uns ist nicht bekannt, dass es bei der Sicherung des Steueraufkommens regelmäßig zu Problemen kam. Es hätte unserer Meinung nach ausgereicht, die wenigen Problemfälle mit zusätzlichen Aufzeichnungspflichten zu belasten, nicht die ganze Branche.
Zudem wurde die Änderung zwar in die jeweilige Verordnung aufgenommen, die Finanzverwaltung hat es jedoch versäumt, die amtlichen Vordrucke zu erlassen. Die Anwendung der Änderungen wurde durch ein GZD-Schreiben bis zur Veröffentlichung der Vordrucke ausgeschlossen. Im August 2018 wurden durch die Generalzolldirektion die amtlichen Vordrucke und Merkblätter veröffentlicht. Zuletzt wurden diese durch Häufig gestellte Fragen (FAQ) und eine Hilfestellung zur Verfahrensdokumentation ergänzt.
Amtliche Vordrucke
Die amtlichen Vordrucke für Strom und Erdgas bestehen jeweils aus einem Deckblatt und einer linken und einer rechten Innenseite. Daneben werden Hinweise zum Befüllen der Vordrucke (3 Seiten) gegeben. Auf dem Deckblatt sind grundsätzliche Angaben zum Veranlagungszeitraum, zum Stromversorger bzw. Erdgaslieferanten, zur Anzahl der Blätter, zur Unveränderbarkeit und Unterschriftsfelder. Die Innenseiten lassen sich in Stammdaten der Kunden (13 Datenfelder/Zeilen) und Aufzeichnungen zu den Verbräuchen (16 Datenfelder/Spalten) unterteilen.
Die großen Stromversorger und Erdgaslieferanten in Deutschland haben mehrere Millionen Kunden bzw. Verbrauchstellen. Die Datenauswertungen/-bereitstellungen für die Zwecke der Strom- und Energiesteuer sind aufgrund der enormen Datenmengen ausschließlich IT-technisch zu realisieren. Effiziente Prüfprozesse durch die Finanzverwaltung lassen sich ebenfalls nur IT-technisch nicht beleghaft durchführen. Ein Mehrwert ist nicht zu erkennen.
Betrachtet man kleinere Stadtwerke mit z. B. 5.000-10.000 Kunden, ist der Nutzen der Änderung ebenfalls nicht erkennbar. Auch hier müssten die Stamm- und Bewegungsdaten mit den Formularen verknüpft und die Erstellung automatisiert werden. Ausgedruckte Datenlisten würden auch in diesem Fall unzählige Ordner füllen. Sollen diese dann per Post an die Finanzverwaltung geschickt werden? Es erschließt sich kein Anwendungsfall, bei dem der durch die amtlichen Vordrucke verursachte Zusatzaufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht.
Es verbleiben zudem zahlreiche weitere Fragestellungen. In welchem Dateiformat sollen die formularmäßigen Aufzeichnungen geführt werden? Erfüllt eine in pdf-Format umgewandelte Excel-Datei die geforderte Unveränderbarkeit? Wie verträgt sich die Unveränderbarkeit mit der offensichtlich gewollten Mengenfortschreibung über mehrere Jahre? Wäre es nicht sinnvoller, die Datenübermittlung auf elektronischem Weg voranzutreiben? Bei den anderen Steuerarten ist dies bereits seit Jahren Standard. Belege in Papierform sind nur noch in Ausnahmefällen erforderlich.
Der Inhalt der einzelnen Datenfelder dürfte den Stromversorgern und Erdgaslieferanten im Wesentlichen vorliegen. Probleme könnten die Datenfelder Abgrenzungsart und Storno verursachen. Unter der Abgrenzungsart erwartet die Finanzverwaltung Informationen zur Anwendung des „rollierenden Verfahrens“, zum „Normalverfahren“ und zum „vorgezogenen Jahresabschluss (Fast Close)". Beim Storno handelt es sich nicht um einen buchhalterischen Stornobeleg, sondern um ein Merkmal, mit dem zwischen Berichtigungen/Stornierungen, die unter die Anwendung des rollierenden Verfahrens fallen oder eben nicht, unterschieden werden soll.
Diese Merkmale/Datenfelder sind bisher in der Regel nicht vorhanden und können eigentlich auch gar nicht vorhanden sein. Hier zeigt sich, dass die Finanzverwaltung nicht verstanden hat, wie der Energiemarkt in Deutschland funktioniert. Große Stromversorger und Erdgaslieferanten unterliegen dem sog. „Unbundling“, d. h. der Vertrieb muss vom Netzbetrieb getrennt sein. Die Kommunikation zwischen beiden Parteien ist genau geregelt. Der Netzbetreiber hat Hoheit über die Zähler und stellt den Vertriebsgesellschaften die Daten in einer vordefinierten Form (EDV-Schnittstelle) zur Verfügung. Eine Nachfrage durch den Versorger/Lieferer beim Netzbetreiber per Telefon oder E-Mail ist nicht vorgesehen und wird in der Regel unbeantwortet bleiben. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung wird eine eindeutige Zuordnung bei Zweifelsfällen nicht möglich sein.
Betriebliche Aufzeichnungen in elektronischer Form
Gemäß der Einleitung zu den Hinweisen zu den amtlichen Vordrucken sieht die Finanzverwaltung Aufzeichnungen in Form von betrieblichen Aufzeichnungen in elektronischer Form anstatt nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck (Papierform) als Regelfall an, der durch die Hauptzollämter zugelassen werden soll. Die Datenfelder der amtlichen Vordrucke müssen in den Aufzeichnungen in elektronischer Form enthalten sein. Auf Verlangen müssen diese ab dem 1. Juli 2019 für zurückliegende Zeiträume ab 1. Januar 2018 bereitgestellt werden können. Für die Felder „Storno“ und „Steuerliche Bewertung“ gilt eine Frist ab dem 1. Januar 2020.
Reichweite der Aufzeichnungspflichten
Die Aufzeichnungspflichten richten sich in erster Linie an klassische Energieversorgungsunternehmen, die Verbraucher mit Strom oder Erdgas beliefern. Andere Stromversorger oder Erdgaslieferanten wie Netzbetreiber, Stromerzeuger, (Beteiligte am Strom- bzw. Gashandel) oder Industrieunternehmen fallen in der Regel unter die Ausnahmetatbestände, so dass diese die Aufzeichnungspflichten nicht erfüllen müssen.
Für klassische Stromversorger und Erdgaslieferanten müssen die Aufzeichnungspflichten umgesetzt und das Datenextrakt in elektronischer Form der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Allerdings verfügen diese regelmäßig über ganze Systemlandschaften (unterschiedliche Abrechnungssysteme, Sub-Systeme). Zum Beispiel findet der Groß- und Börsenhandel meist über gesonderte Systeme statt. Bei den Transaktionen werden oft physische Geschäfte und Kompensationsgeschäfte vermischt. Zur Erfüllung der Aufzeichnungspflichten werden erhebliche Eingriffe in die Systeme notwendig.
Fazit
Durch die „neuen“ Aufzeichnungspflichten kommt erheblicher Mehraufwand auf die Stromversorger und Erdgaslieferanten zu. Dazu kommt ein Einmalaufwand für die notwendige Anpassung der Systemlandschaften. Die in den Hinweisen genannten Fristen (ab 1. Juli 2019 für zurückliegende Zeiträume ab dem 1. Januar 2018 bzw. ab 1. Januar 2020 bei den neuen Angaben zum rollierenden Verfahren) könnten schwierig zu halten sein. Anpassungen in der Systemlandschaft haben meist eine lange Vorlaufzeit.
Aufgrund der geplanten engen Auslegung des rollierenden Ableseverfahrens wird es bei Stromversorgern und Erdgaslieferanten vermehrt zu Korrekturen der steuerpflichtigen Strom- und Erdgasmengen alter Veranlagungszeiträume kommen. Die betroffenen Steueranmeldungen sind gemäß § 153 AO unverzüglich innerhalb der Festsetzungsfrist zu korrigieren. Dies hätte bei Massenversorgern unzählige korrigierte Steueranmeldungen zur Folge. Dies ist sowohl für den Versorger als auch für die Finanzverwaltung kaum praxistauglich.
Die kurzen Festsetzungsfristen im Verbrauchsteuerrecht werden zudem dazu führen, dass Korrekturen nach § 153 AO im Rahmen der regulären Festsetzungsfrist nicht mehr möglich sind. Dies wird automatisch zur Frage der Anwendbarkeit der längeren Festsetzungsfristen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO führen. In diesem Zusammenhang wird die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems gemäß Tz. 2.6 AEAO zu § 153 AO an Bedeutung gewinnen.
Handlungsempfehlung
Alle Stromversorger und Erdgaslieferanten haben zu prüfen, ob die zusätzlichen Aufzeichnungspflichten für sie zu beachten sind. Sollte einer der Ausnahmetatbestände greifen, empfehlen wir, dies dem zuständigen Hauptzollamt mitzuteilen. Das Hauptzollamt kann dann, sollte es anderer Auffassung sein, reagieren.
Aufzeichnungspflichtige haben zeitnah den Anpassungsbedarf in ihrer Systemlandschaft zu ermitteln und umzusetzen. Bis 31. Dezember 2018 ist dem zuständigen Hauptzollamt mitzuteilen, dass betriebliche Aufzeichnungen in elektronischer Form geführt werden wollen. Bis spätestens 30. März 2019 ist dem Hauptzollamt eine Verfahrensdokumentation und ein Musterausdruck des Datenextraktes zur Verfügung zu stellen.