Die Parteien der Ampelkoalition (SPD, Grüne und FDP) haben am 24.11.2021 ihren frisch ausgehandelten Koalitionsvertrag vorgestellt. Darin werden keine Erhöhungen bei bestehenden Steuern angekündigt, jedoch – anders als noch im Sondierungspapier – Steuererhöhungen auch keineswegs ausdrücklich ausgeschlossen. Immerhin wird die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 vereinbart.
Eingeführt werden sollen Investitionsprämien für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter. Auch die Evaluierung (und Verbesserung) sowohl der Thesaurierungsbegünstigung als auch des vor kurzem eingeführten sog. Optionsmodells werden angekündigt. Die vorgesehene Digitalisierung und Entbürokratisierung des Besteuerungsverfahrens fällt ebenfalls positiv ins Gewicht, insbesondere mit der angekündigten Modernisierung der Betriebsprüfung. Aber auch die Einführung neuer elektronischer Melde- und Kontrollsysteme kann volkswirtschaftlich positive Impulse setzen, insbesondere wenn diese EU-weit harmonisiert werden.
Neben den Inhalten sind natürlich auch Personalien von großer Bedeutung: Das Amt des Bundesfinanzministers geht erwartungsgemäß an Christian Lindner von der FDP. Inhaltlich werden im Koalitionsvertrag unter dem Titel "Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" auf 177 Seiten zahlreiche Vereinbarungen im Bereich der Steuerpolitik getroffen. Im Einzelnen wird folgendes geplant:
- Um die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen zu verbessern, sollen das kürzlich eingeführte sog. Optionsmodell und die Thesaurierungsbesteuerung evaluiert und geprüft werden, inwiefern praxistaugliche Anpassungen erforderlich sind.
- Die erweiterte Verlustverrechnung soll bis Ende 2023 verlängert und der Verlustrücktrag auf die zwei unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeiträume ausgeweitet werden.
- Eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter soll geschaffen werden, die den Steuerpflichtigen in den Jahren 2022 und 2023 ermöglicht, einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in besonderer Weise diesen Zwecken dienen, vom steuerlichen Gewinn abzuziehen ("Superabschreibung").
- Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sollen intensiver bekämpft werden.
- Die Koalition will sich weiter aktiv für die Einführung der globalen Mindestbesteuerung einsetzen sowie dafür, dass die "Steueroasen-Liste der EU" ständig aktualisiert wird, um Steueroasen umfassend zu erfassen.
- Aus Deutschland abfließende Einkommen sollen angemessen besteuert werden. Sowohl eine Nicht- als auch eine Doppelbesteuerung ist zu vermeiden. Dazu soll die Quellenbesteuerung, insbesondere durch eine Anpassung der Doppelbesteuerungsabkommen, ausweitet, und die Zinsschranke durch ein "Zinshöhenschranke" ergänzt werden, um ungewünschte Steuergestaltung zu vermeiden.
- Die OECD-Regeln gegen Umgehungsgestaltungen beim internationalen Finanzkonteninformationsaustausch (CRS und FATCA) sollen umgesetzt werden. Außerdem will sich die Koalition für eine Ausweitung des Informationsaustauschs einsetzen.
- Die bereits eingeführte Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen soll auch auf nationale Steuergestaltungen von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 10 Mio. Euro ausgeweitet werden.
- Im Bereich der Unternehmensbesteuerung soll die Steuerprüfung modernisiert und beschleunigt werden. Dafür will sich die Koalition insbesondere für verbesserte Schnittstellen, Standardisierung und den sinnvollen Einsatz neuer Technologien einsetzen. Zur Sicherung der Anschlussfähigkeit der Steuerverwaltung an den digitalen Wandel und für eine spürbare Verringerung der Steuerbürokratie wird eine zentrale Organisationseinheit auf Bundesebene eingerichtet.
- Durch digitale Verfahren soll die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die Bürgerinnen und Bürger erleichtert werden, wie zum Beispiel durch vorausgefüllte Steuererklärungen (sog. Easy Tax). Die Koalition will daher die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens konsequent weiter vorantreiben und dafür sorgen, dass steuerliche Regelungen grundsätzlich auch digital umsetzbar sind. Ziel ist es, das die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung digital möglich ist.
- Die steuerliche Regelung des Homeoffice soll für Arbeitnehmer bis zum 31.12.2022 verlängert und evaluiert werden.
- Bei der sog. Dienstwagenbesteuerung wird die Begünstigung von Plug-In-Hybridfahrzeugen für neu zugelassene Fahrzeuge stärker auf die rein elektrische Fahrleistung ausgerichtet. Hybridfahrzeuge sollen zukünftig nur noch privilegiert werden (Entnahmewert 0,5 Prozent), wenn das Fahrzeug überwiegend (mehr als 50 Prozent) auch im rein elektrischen Fahrantrieb betrieben wird. Wird das Fahrzeug nicht überwiegend im elektrischen Fahrbetrieb genutzt oder der rein elektrische Fahranteil nicht nachgewiesen, entfällt der Vorteil und die Nutzung des Dienstwagens wird regelbesteuert (1-Prozent-Regelung). Die elektrische Mindestreichweite der Fahrzeuge beträgt bereits ab dem 01.08.2023 80 Kilometer. Nach dem Jahr 2025 wird die Pauschalsteuer für emissionsfreie Fahrzeuge (Elektro) dann 0,5 Prozent betragen. Für CO2-neutral betriebene Fahrzeuge soll analog zu voll-elektrisch betriebenen Fahrzeugen verfahren werden.
- Das BFH-Urteil zum Alterseinkünftegesetz soll umgesetzt werden. Eine doppelte Rentenbesteuerung will die Koalition auch in Zukunft vermeiden. Deshalb soll der Vollabzug der Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben – statt nach dem Stufenplan ab 2025 – vorgezogen und bereits ab 2023 erfolgen. Zudem soll der steuerpflichtige Rentenanteil ab 2023 nur noch um einen halben Prozentpunkt steigen. Eine Vollbesteuerung der Renten wird damit erst ab 2060 erreicht.
- Den Sparerpauschbetrag will die Koalition zum 01.01.2023 auf 1.000 Euro bzw. 2.000 Euro bei Zusammenveranlagung erhöhen.
- Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung soll attraktiver werden, u. a. durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags.
- Die lineare Abschreibung für den Neubau von Wohnungen soll von zwei auf drei Prozent angehoben werden.
- Den Ländern soll eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ermöglicht werden, um den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums zu erleichtern. Zur Gegenfinanzierung sollen (angebliche) steuerliche Schlupflöcher beim Immobilienerwerb von Konzernen (Share Deals) geschlossen werden.
- Es soll gesetzlich klargestellt werde, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Die Koalition will handhabbare, standardisierte Transparenzpflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung schaffen.
- Zeitnah soll eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg gebracht werden und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugt werden.
- Auch sollen bestehende steuerrechtliche Hürden für Sachspenden an gemeinnützige Organisationen durch eine rechtssichere, bürokratiearme und einfache Regelung beseitigt werden, um so die Vernichtung dieser Waren zu verhindern. Dies zielt wahrscheinlich auf die umsatzsteuerliche Wertabgabenbesteuerung ab.
- Die Koalition möchte "schnellstmöglich" ein bundesweites elektronisches Meldesystem einführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird (sog. e-Invoicing). Ziel ist die Betrugsbekämpfung sowie die Modernisierung und Entbürokratisierung der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Betrieben. Auf EU-Ebene will sich die Koalition für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem (z.B. Reverse-Charge) einsetzen.
- Um im europäischen Wettbewerb gleiche Bedingungen zu erreichen, soll gemeinsam mit den Ländern die Einfuhrumsatzsteuer weiterentwickelt werden.
- Inklusionsunternehmen sollen, u.a. durch eine formale Privilegierung im Umsatzsteuergesetz, gestärkt werden.
- Die im Rahmen der EU bereits bestehende Plastikabgabe wird wie in anderen europäischen Ländern auf die Hersteller Inverkehrbringer umgelegt. Dies bedeutet wohl die Einführung einer sog. Plastiksteuer.
- Zusätzliche Haushaltspielräume will sich die Koalition dadurch erschließen, dass im Haushalt überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abgebaut werden. Mit der Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie, die u. a. die steuerliche Angleichung von Dieselkraftstoff und Benzin vorsieht, soll die steuerliche Behandlung von Dieselfahrzeugen in der Kfz-Steuer überprüft werden.
Nun muss der Koalitionsvertrag von den jeweiligen Parteigremien abgesegnet werden. Hierzu werden bei SPD und FDP die Parteitage am 04. bzw. 05.12.2021 über den Vertrag abstimmen. Die Grünen wollen bis dahin eine Mitgliederbefragung durchführen. Da bei allen drei Parteien von einer Zustimmung ausgegangen werden kann, spricht alles für eine Wahl des neuen Bundeskanzlers und seiner Minister in der Woche vom 06.12.2021. Steuergesetze, die sich aus dem Koalitionsvertrag ableiten, dürften jedoch erst ab dem kommenden Jahr in den Bundestag eingebracht und von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Zu beachten ist, dass die mit CDU/CSU-Beteiligung geführten Landesregierungen im Bundesrat eine Mehrheit von 48 Stimmen haben. Damit spielt auch die Landesebene der Union eine gewichtige Rolle in der Steuerpolitik, da sie gemeinsam alle Steuergesetze der neuen Ampelkoalition blockieren kann.