Hintergrund
Voraussichtlich wird die neue globale Mindeststeuer ab 2024 anzuwenden sein
Wenngleich die politische Entscheidung über die tatsächliche Einführung der globalen Mindeststeuer innerhalb der EU mangels einstimmiger Zustimmung aller Mitgliedstaaten bisher noch nicht final getroffen wurde, ist davon auszugehen, dass Deutschland und auch andere Mitgliedstaaten diese Regeln zum 01.01.2024 einführen und umsetzen werden. Diese Absicht wurde jüngst im Beschluss der deutschen Regierungskoalition vom 03.09.2022 zum sog. "Entlastungspaket III" sowie in einer gemeinsamen Erklärung der Finanzminister Frankreichs, Deutschlands, Italiens, der Niederlande und Spanien vom 09.09.2022 bekräftigt.
Bei der Umsetzung der überaus komplexen Regelungen zur Ermittlung der Steuer orientieren sich die Unternehmen an dem von der OECD veröffentlichten Leitfaden, der einen Ansatz in fünf Schritten vorsieht. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, welche prozessualen Besonderheiten und fachlichen Themen bei diesen fünf Schritten zu berücksichtigen sind.
Schritt 1: Scoping
Betroffene Konzerne müssen beim Scoping auf Basis komplexer Regelungen bestimmen, für welche Konzerneinheiten eine Pillar Two-Steuerberechnung zu erfolgen hat
Pillar Two setzt grundsätzlich auf dem Konzernabschluss einer internationalen Unternehmensgruppe auf. Die Frage dabei ist jedoch, für welche Konzerneinheiten eine Berechnung der Pillar Two Top-Up Tax zu erfolgen hat (sog. Scoping).
Das sind allen voran die je nach anwendbarem Rechnungslegungsstandard (z.B. IFRS) vollkonsolidierten Gesellschaften der Unternehmensgruppe. Hinzu kommen Gesellschaften, die in die Konsolidierung einbezogen werden könnten, aber z.B. aus Gründen der Materialität tatsächlich nicht konsolidiert werden. Betriebsstätten im ertragsteuerlichen Sinne werden hierbei wie eigene Gesellschaften behandelt. Gewisse Konzerneinheiten sind andererseits von der Top-Up Tax Berechnung als "Excluded Entities" auszunehmen. Bei diesem ersten Schritt sind zudem weitere Besonderheiten / Ausnahmeregelungen zu beachten, z.B. für "Joint Ventures", d.h. nicht voll konsolidierte Gesellschaften, die nach der At-Equity Methode im Konzernabschluss bilanziert werden.
Praktische Projekterfahrungen zeigen, dass das Scoping eine enge Kooperation und Kommunikation zwischen der Abteilung, die für den Konzernabschluss verantwortlich zeichnet.
(Accounting), und der Steuerabteilung erfordert, um die komplexen Regeln der Identifikation und Qualifikation der sog. Constituent Entities korrekt umzusetzen. Gerade bei einer hohen Anzahl einzubeziehender Constituent Entities und Länder ist zudem eine sorgfältige und "kleinteilige" Vorgehensweise unabdingbar, um eine korrekte Ausgangsbasis für die weiteren Ermittlungsschritte der Pillar Two Top-Up Tax zu haben.
Schritt 2: Ermittlung des Einkommens ("GloBE Income oder Loss")
Im Schritt 2 sind überaus komplizierte Regeln bei der Ermittlung des Einkommens auf Basis des jeweils anwendbaren Rechnungslegungsstandards zu beachten
Auch bei der Ermittlung des relevanten Einkommens ist vom Grundsatz auf das Ergebnis der Konzerneinheiten gemäß anwendbarem Rechnungslegungsstandard des Konzernabschlusses (z.B. IFRS) abzustellen. Dabei ist das Ergebnis jeder Constituent Entity vor Konsolidierungsbuchungen maßgeblich. Praktische Schwierigkeiten zeigen sich bei der Ermittlung des Einkommens je Konzerneinheit insbesondere bei den nachfolgend beschriebenen Punkten.
Es gibt Constitutent Entities, die nicht den Konzernrechnungslegungsstandard für die Ermittlung des auf sie entfallenden Einkommens anwenden. Dies kann z.B. kontrollierte Gesellschaften betreffen, die aus Gründen der Materialität tatsächlich nicht konsolidiert werden, oder auch Betriebsstätten, die als eigene Constituent Entities zu behandeln sind, aber im Regelfall keine eigenen Abschlüsse erstellen. Es gibt eine Vereinfachungsregel, wonach das Einkommen solcher Einheiten unter bestimmten Umständen auch auf Basis des tatsächlich anwendbaren Rechnungslegungsstandards berechnet werden kann. Die Anwendbarkeit dieser komplex ausgestalteten Vereinfachungsregel ist jedoch in vielen Fällen unklar. Daher kann es im Einzelfall geboten sein, für solche Einheiten zukünftig den im Konzern geltenden Rechnungslegungsstandard zu verwenden.
Zudem ist in der Praxis zu beobachten, dass bei der Ermittlung des Einkommens je Einzelgesellschaft nicht immer alle Rechnungslegungsstandards (z.B. gemäß IFRS) korrekt und konsistent zur Anwendung kommen. Dies ist aus Konzernsicht für Zwecke der Rechnungslegung häufig auch unproblematisch, z.B. wenn der IFRS 16 für konzerninterne Leasingverhältnisse nicht beachtet wird, weil diese Transaktionen im Konzernabschluss ohnehin konsolidiert werden. Für Pillar Two-Zwecke ist jedoch aus heutiger Sicht davon auszugehen, dass alle Standards korrekt und konsistent auf Einzelgesellschaftsebene anzuwenden sind, um ein für steuerliche Zwecke "korrektes" Qualified Income zu ermitteln. Insoweit kann es sein, dass betroffene Konzerne ihre Rechnungswesensprozesse aus steuerlichen Gründen entsprechend anpassen müssen, was einen enormen Aufwand verursachen kann.
In einer Gesamtbetrachtung stellt die Ermittlung des Einkommens die Unternehmen vor große Herausforderungen, weil das Regelwerk sehr kompliziert ausgestaltet wurde und interpretationsbedürftig ist. Zudem sind bei der Ermittlung viele Informationen notwendig, die bislang mangels Notwendigkeit nicht separat gesammelt oder aufgezeichnet wurden. Es sind insoweit neue Datenpunkte zu bestimmen und ein Verfahren zu etablieren, wie diese Daten zur Sicherung der Tax Compliance strukturiert werden und vollständig in die Steuerberechnungen des Unternehmens einfließen. Viele Unternehmen werden dafür IT-gestützte Prozesse und Berechnungen einführen.
Schritt 3: Ermittlung des Steueraufwands ("Covered Taxes")
Der in den Einzelabschlüssen gebuchte Steueraufwand ist für Pillar Two-Zwecke zu adjustieren, was insbesondere die latenten Steuern betrifft
Die Ermittlung des Steueraufwands in Schritt 3 ist ebenso komplex wie Schritt 2, was u.a. auch wieder dem unklaren Wortlaut der Regelungen geschuldet ist.
Hinzu kommt, dass gemäß Pillar Two-Regelwerk einerseits vom Grundsatz auf die gemäß Rechnungslegungsstandard gebuchten laufenden und latenten Steuern aufzusetzen ist. Andererseits sind gerade bei den latenten Steuern einige Anpassungen vorzunehmen, die in der Praxis schwer zu handhaben sind.
Dies betrifft z.B. latenten Steueraufwand, der vorbehaltlich einer komplexen Ausnahmeregelung zu eliminieren ist, wenn er sich nicht innerhalb von fünf Jahren nach dem Buchungsjahr "umdreht". Auch die Quantifizierung des Steueraufwands auf für Pillar Two-Zwecke "befreites" Einkommen (Excluded Income) ist im Einzelfall praktisch sehr schwierig.
Schritt 4: Ermittlung der Steuerquote ("ETR") und der Top-Up Tax
Soweit eine Top-Up Tax bei Unterschreitung einer ETR von 15 % droht, sollten die betroffenen Unternehmen die Anwendung von Befreiungen prüfen
Ergibt sich bei der Berechnung der ETR im Schritt 4 als Quotient des Steueraufwands (Schritt 3) und des Einkommens (Schritt 2) eine Steuerquote von weniger als 15 %, so fällt grundsätzlich eine Top-Up Tax an, um eine Besteuerung des Einkommens mit mindestens 15 % sicherzustellen.
Dies kann jedoch vermieden werden, wenn bzw. soweit der Konzern Investitionen in "Substanz" (Sachanlagevermögen und Angestellte) vorweisen kann, weil insoweit eine Routinerendite für diese Investitionen effektiv steuerfrei gestellt wird.
Ausnahmen von der Steuerpflicht bestehen zudem in gewissen weiteren Situationen und es wird grundsätzlich erwartet, dass die OECD und die EU (als Regulatoren) noch wesentliche Vereinfachungen ("Safe Harbours") einführen werden, um die Anwendung des Regelwerks für Steuerpflichtige und Steuerbehörden zu erleichtern.
Schritt 5: Steuerpflicht gemäß Income Inclusion Rule ("IIR")
Eine Steuerpflicht kann auf Ebene der Konzernspitze, einer zwischengeschalteten Holding oder auf Ebene der niedrig besteuerten Gesellschaft selber entstehen
Soweit sich eine Top-Up Tax nicht vermeiden lässt, stellt sich die Frage, welche Konzerneinheit die entsprechende Steuerzahlungsverpflichtung hat.
Dies wäre im Grundsatz die Konzernspitze ("Ultimate Parent Entity"), aber im komplexen Pillar Two-Regelwerk gibt es auch dazu einige Ausnahmen. Als besonders kompliziert zeigt sich die Bestimmung der Steuerschuld beispielsweise bei vollkonsolidierten Holding-Gesellschaften mit Minderheitsgesellschaftern von mehr als 20 % (sog. Partially Owned Parent Entity). Auch ist zu berücksichtigen, dass die Top-Up Tax grundsätzlich als sog. Domestic Top-Up Tax bereits im Ansässigkeitsstaat der niedrig besteuerten Konzerngesellschaften zu zahlen sein kann.
Fazit
Die Komplexität der Berechnung der Top-Up Tax, die sich unter anderem aus dem unklaren Wortlaut des Regelwerks ergibt, kann nur mit einem stringenten Umsetzungsprojekt beherrscht werden. Viele Unternehmen wollen diese "Herkulesaufgabe" der Tax Compliance mittels IT-gestützter Prozesse bewältigen.
Auch wenn die jeweilige lokale Gesetzgebung zu Pillar Two noch nicht feststeht und hoffentlich noch wesentliche Compliance-Vereinfachungen von den Regulatoren angeboten werden, sind Unternehmen gut beraten, wenn sie sich bereits in 2022 intensiv mit der neuen globalen Mindeststeuer und ihre Auswirkungen auf die internen Prozesse auseinandersetzen.