Regierungsentwurf vom 31.07.2019
Am 08.05.2019 hat das BMF unter dem Namen „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ den Referentenentwurf des angekündigten Jahressteuergesetzes 2019 veröffentlicht.
Der Entwurf setzt u. A. die Quick Fixes um, welche am 02.10.2018 vom ECOFIN beschlossen wurden und zum 01.01.2020 in nationales Recht umzusetzen sind (vgl. USt Info # 3/2018, Beitrag 1.1.). Die Quick Fixes betreffen ausschließlich bestimmte innergemeinschaftliche Lieferungen zwischen Unternehmern.
Am 31.07.2019 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf zu diesem Gesetz beschlossen und damit das formale Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt. Am 20.09.2019 hat der Bundesrat seine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung beschlossen. Sie enthält sowohl konkrete Änderungsvorschläge als auch sog. Prüfbitten, zu denen sich nun die Bundesregierung positionieren muss. Die Bundesregierung soll u. A. prüfen, ob bei den Quick Fixes (Umsatzsteuer) eine Legaldefinition des Begriffs „Verwenden“ der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eingefügt werden muss.
Das Gesetzgebungsverfahren hat sich in den letzten Wochen aufgrund von Diskussionen über Änderungen im Einkommensteuergesetz verzögert, es wird jedoch mit einer baldigen Umsetzung gerechnet. Der Bundestag hat am 07.11.2019 zugestimmt. Der Bundesrat soll (geplant) am 29.11.2019 zustimmen.
Der Gesetzesentwurf enthält folgende Regelungen zu den Quick Fixes:
Verschärfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen
Zum 01.01.2020 werden bei der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen zwei zusätzliche materiellrechtliche Voraussetzungen eingeführt. Zum Einen wird die Vorlage der gültigen ausländischen USt-IdNr. des Leistungsempfängers Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Damit wird die bisherige Rechtsprechung des EuGH (vgl. zuletzt Urteile vom 09.02.2017, Rs. C-21/16, Euro Tyre BV und vom 20.10.2016, Rs. C-24/15, Josef Plöckl, vgl. USt Info # 1/2017, Beitrag 3.2.) obsolet, nach der die USt-IdNr. nicht zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung gehört.
Zum Anderen wird weitere zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung ab dem 01.01.2020 die Abgabe einer korrekten Zusammenfassenden Meldung (ZM) durch den Lieferer mit allen erforderlichen Informationen zur Lieferung. Neben den zutreffenden Angaben – u. A. die USt-IdNr. des Leistungsempfängers – ist auch die zutreffende Periodisierung erforderlich.
Nach derzeitiger Gesetzeslage sind sowohl die USt-IdNr. als auch die Abgabe der ZM lediglich formale Voraussetzungen für die Steuerbefreiung.
Prozessuale Anpassungen im Unternehmen erforderlich
Diese Neuerungen verschärfen die Anforderungen an die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen erheblich. Soweit der Unternehmer auch in Zukunft die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen möchte, ist es empfehlenswert, zeitnah vor Ausführung jeder innergemeinschaftlichen Lieferung die Gültigkeit der USt-IdNr. des Leistungsempfängers zu überprüfen. Unklar ist zudem, wie sich rückwirkende Änderungen des Gültigkeitsstatus auf die Steuerbefreiung auswirken werden. Um Diskussionen über Strafbarkeitsrisiken vorzubeugen, ist eine entsprechende Dokumentation des Ergebnisses der vor Ausführung der Lieferung durchgeführten Gültigkeitsprüfungen anzuraten, auch im Hinblick darauf, dass sich der Gültigkeitsstatus nachträglich ändern könnte. Zudem können zukünftig Fehler im Zusammenhang mit der ZM zur Versagung der Steuerbefreiung führen. Damit erfährt das Thema ZM aus dem Blickwinkel der Tax Compliance eine deutliche Aufwertung.
Neue Belegnachweise für innergemeinschaftliche Lieferungen: Einführung einer (widerlegbaren) Gelangensvermutung
An diese materiell-rechtlichen Änderungen für die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen knüpft die Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) bzgl. der Belegnachweisführung. Ein Unternehmer, der die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen möchte, hat durch geeignete Belege nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt sind. Die MwStSystRL enthielt bislang selbst keine unmittelbaren Vorgaben, wie der Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zu führen ist. Nach derzeitigem Rechtsstand obliegt es den einzelnen Mitgliedstaaten, die konkreten Bedingungen und Voraussetzungen zu regeln, wie ein Unternehmer das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung zu belegen hat. Dies führte in der Praxis immer wieder zu Streitigkeiten.
Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt nun die neue Vermutungsregelung nach Art. 45a MwStVO n. F. in die UStDV auf. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 17a UStDV-E wird gesetzlich vermutet, dass der Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde. Dafür müssen grundsätzlich zwei Belege vorliegen, die von zwei verschiedenen Personen ausgestellt sind, die sowohl voneinander als auch vom liefernden Unternehmer sowie vom Abnehmer unabhängig sind. Das Finanzamt kann diese Vermutung widerlegen.
Nachweisführung nach bisherigem Recht weiterhin möglich
Erfreulich für deutsche Unternehmer ist, dass die bisherige Praxis der Belegnachweisführung beibehalten werden kann: Besteht keine Vermutung nach § 17a UStDV, kann der Unternehmer also weiterhin den Belegnachweis mit den bisher möglichen Nachweisen (z. B. Gelangensbestätigung, Spediteurbescheinigung, etc., § 17b ff. UStDV-E) führen. Nichtsdestotrotz sollte die Gesetzesänderung zum Anlass genommen werden, den Prozess der Belegnachweisführung auf den Prüfstand zu stellen.
Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte: Abstellen auf die Transportverantwortung
Die Quick Fixes sehen zudem eine EU-weite Vereinheitlichung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften vor. Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn ein Gegenstand über eine Lieferkette mit mindestens drei Beteiligten (A, B, C) veräußert wird und dabei unmittelbar vom ersten Lieferer (A) zum letzten Abnehmer (C) gelangt. Nach derzeitiger Rechtslage kann bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft nur eines der mehreren Umsatzgeschäfte von der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen profitieren. Alle anderen Umsätze sind daher grundsätzlich im Warenabgangsland oder Warenempfangsland steuerpflichtig (soweit nicht eine andere Steuerbefreiungsvorschrift einschlägig ist). In Deutschland wurde für die Zuordnung der Steuerbefreiung seit jeher auf die Transportbeauftragung abgestellt (sog. bewegte Lieferung). Problematisch erweist sich dabei in der Praxis u. A. aufgrund der bislang unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten die Bestimmung der bewegten Lieferung, insbesondere, wenn ein mittlerer Unternehmer in der Kette verantwortlich für den Transport ist. Um diesem Problem der alltäglichen unternehmerischen Praxis zu begegnen, normiert die Neuregelung EU-weit einheitliche Bestimmungen zur Zuordnung der bewegten Lieferung. Danach kommt der Transportveranlassung eine erhebliche Bedeutung zu. Ist ein mittlerer Unternehmer (sog. Zwischenhändler) verantwortlich für den Transport, soll die Beförderung oder Versendung grundsätzlich der Lieferung an den Zwischenhändler zuzuordnen sein. Diese gesetzliche Vermutung kann der Zwischenhändler aber durch Verwendung einer USt-IdNr. des Abgangslands der Ware widerlegen. Diese Neuregelung entspricht der bisherigen deutschen Rechtslage, so dass sich für den Praktiker insoweit grundsätzlich keine materiellen Änderungen ergeben.
Reihengeschäfte mit dem Drittland
Der Gesetzentwurf geht zudem über die Neuregelungen zu den Quick Fixes hinaus und regelt die Zuordnung der Warenbewegung bei Reihengeschäften mit dem Drittland, wenn der Transport durch einen mittleren Unternehmer (Zwischenhändler) erfolgt, entsprechend.
Konsignationslagerregelung
Eine weitere Neuregelung betrifft die sog. Konsignationslager. Ein Konsignationslager ist nach allgemeinem Verständnis ein Warenlager eines Lieferanten, welches sich in der Nähe des Kunden (Abnehmers), i. d. R. sogar auf seinem Werksgelände, befindet. Die Ware verbleibt solange im Eigentum des Lieferanten, bis der Kunde sie aus dem Lager entnimmt. Erst zum Zeitpunkt der Entnahme erfolgt eine Lieferung, die Grundlage der Rechnungsstellung ist. Liegt das Konsignationslager in einem anderen Mitgliedstaat sieht die derzeitige deutsche Rechtslage vor, dass der Lieferant zunächst ein innergemeinschaftliches Verbringen vom Abgangs- in das Bestimmungsland und anschließend eine lokale Lieferung im Lagerland ausführt, was eine Registrierung des Lieferanten im Lagerland zur Folge hat. Einige Mitgliedstaaten sehen Vereinfachungsregelungen vor, um genau diese Registrierungspflicht zu vermeiden. Daran knüpft nun auch die Regelung im Rahmen der Quick Fixes an. Durch eine gesetzliche Fiktion wird eine im Abgangsmitgliedstaat steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den Kunden sowie im Bestimmungsmitgliedstaat der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb durch den Kunden unterstellt. Bei Anwendung der Regelung entfällt die Notwendigkeit für den Lieferer, zunächst ein innergemeinschaftliches Verbringen der Ware in ein Konsignationslager zu melden, gefolgt von einer Lieferung im Lagerland. Liegen die Voraussetzungen der Konsignationslagerregelung vor und wird die Lieferung vom Unternehmer an den Erwerber innerhalb von 12 Monaten nach dem Ende der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes bewirkt, kommt die eben beschriebene gesetzliche Fiktion zu Anwendung.
Hoher Verwaltungsaufwand durch Aufzeichnungspflichten
Die Anwendung der gesetzlichen Vereinfachungsregelung für Konsignationslager bringt den Vorteil mit sich, dass neben der Vermeidung der Registrierung im Bestimmungsmitgliedstaat auch kein Belegnachweis erforderlich ist. Die Vereinfachungsregelung ist im Übrigen leider durchaus vielschichtig und wird für viele Unternehmer einen erhöhten Verwaltungsaufwand mit sich bringen, da die Anwendung an umfangreiche Aufzeichnungsplichten des Lieferanten sowie des potentiellen Abnehmers geknüpft ist. Gegebenenfalls sollten Unternehmer daher prüfen, ob die neue Rechtslage den freiwilligen „Verzicht“ auf die Regelung zulässt, z. B. durch aktive Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen durch den Lieferanten und / oder Abnehmer.
Weiterhin ist zu erwägen, ob nicht etwa durch die Berufung auf die allgemeinen umsatzsteuerlichen Regelungen zur Abgrenzung von bewegten und unbewegten Lieferungen die Anwendung der neuen Konsignationslagerregelung vermieden werden kann. Vor dem Hintergrund der hierzu ergangenen Rechtsprechung (aus deutscher Sicht: vor allem des BFH, Urteile vom 20.10.2016, AZ: V R 31/15, und vom 16.11. 2016, AZ: V R 1/16, vgl. USt Info # 1/2017, Beitrag 3.3.) ist zumindest bei entsprechender Gestaltung des Sachverhaltes – ggf. nach vorheriger Klärung mit den betroffenen anderen Mitgliedstaaten – die Annahme einer Direktlieferung möglich.
Rechtsprechung des BFH zu Konsignationslagern weiterhin anwendbar
Die o. g. Rechtsprechung des BFH zu Konsignationslagerfällen – welche weiterhin anwendbar ist – wendet diese allgemeinen Regelungen an und kommt zu dem Ergebnis, dass eine (bewegte) Versendungslieferung auch dann vorliegen kann, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für „kurze Zeit“ in einem Auslieferungslager gelagert werde und zwar dann, wenn der Abnehmer bereits bei Beginn der Beförderung oder Versendung feststeht; der Ort der Lieferung bestimmt sich in diesem Fall nach dem Ort des Beginns der Beförderung oder Versendung. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kommt die Vereinfachungsregelung gar nicht erst zur Anwendung, der Lieferant würde aber dennoch eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an seinen Kunden ausführen.
Schließlich ist zu beachten, dass die Neuregelung ausschließlich Konsignationslagersachverhalte betrifft, bei denen die Waren innerhalb der EU grenzüberschreitend geliefert bzw. transportiert werden.
Praxishinweis
Die Umsetzung der Quick Fixes in nationales Recht bedarf einer sorgfältigen Analyse, Planung und Umsetzung durch Unternehmen, die grenzüberschreitende Lieferungen – insbesondere innerhalb der EU – ausführen. Dabei sollten auch die (nicht verbindlichen) Ausführungen der Mehrwertsteuer-Expertengruppe der EU-Kommission vom 25.09.2019 berücksichtigt werden. Insbesondere die Verschärfung der Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung und die neue Konsignationslagerregelung bergen viele Besonderheiten, die auch IT-technisch umgesetzt werden müssen.