Am 07.09.2022 hat das Bundesarbeitsgericht eine wichtige Entscheidung zur Geltung von Tarifverträgen im Ausland und zum Tax Equalization-Verfahren mit Hypotax-Abzug bei vorübergehender Auslandsentsendung von tarifgebundenen Mitarbeitern getroffen.
1 Wozu dient eine Hypotax?
Wenn Mitarbeiter in das Ausland entsandt werden, darf ein Unternehmen die steuerliche Mehr- oder Minderbelastung der Arbeitnehmer nicht ignorieren, da der Steuerfaktor anderweitige positive Anreize zunichtemachen und die Motivation für Entsendungen mindern kann.
Aus diesem Grunde wurde u.a. das sog. Tax Equalization-Verfahren mit dem Hypotax-Abzug entwickelt, das zur Gleichbehandlung der entsandten Mitarbeiter führen soll und welches viele Unternehmen in Deutschland für ihre Auslandsentsendungen anwenden. Dabei behält der Arbeitgeber eine fiktive Steuer vom Lohn des ins Ausland entsandten Arbeitnehmers ein. Das Ziel ist, einen ins Ausland Entsandten steuerlich so zustellen, als wäre er weiterhin im Heimatland tätig. Rechtstechnisch wird hierzu eine Nettolohnvereinbarung getroffen, wobei der Nettolohn auf Grundlage des Bruttolohns abzüglich der hypothetischen Steuer ermittelt wird. Im Gegenzug verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Zahlung der ausländischen Steuer und Auszahlungen von Steuererstattungen an den Arbeitnehmer.
Bei Entsendungen in Niedrigsteuerländer führt dies ggf. zu einer Steuerersparnis des Arbeitgebers, während dem Arbeitnehmer lediglich die entsendebedingten Zulagen verbleiben. In dem entschiedenen Fall erhob ein nach Frankreich entsandter Arbeitnehmer erfolgeich Klage gegen den Arbeitgeber mit der Begründung, dass der tarifvertraglich geschuldete Bruttolohn nicht erfüllt worden sei, da die hypothetische Steuer nicht an den deutschen Fiskus abgeführt wurde und die ausländische Steuer niedriger ausfiel als die berechnete hypothetische Steuer.
2 Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dieser Entscheidung vom 07.09.2022 - 5 AZR 503/21 - einige für Entsendungen wichtige Rechtsfragen entschieden. Zunächst war die Frage, ob ein unmittelbar und zwingend geltender Tarifvertrag (Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren jeweils Mitglied bei der entsprechenden Tarifpartei) auch während der vorübergehenden Auslandsentsendung unmittelbar und zwingend gilt. Die Geltung im Ausland ist durchaus nicht selbstverständlich, da auch die Argumentation möglich ist, dass der Tarifvertrag aufgrund des Territorialitätsprinzips nur bei einer Tätigkeit in Deutschland gilt.
Dies sah das BAG aber nicht so. Vielmehr führt das BAG aus, dass es zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs auf den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses ankomme. Eine nur vorübergehende Entsendung an einen anderen Arbeitsort - auch im Ausland - berühre im Regelfall den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses nicht.
Weiter führt es aus, dass eine Entsendung immer nur dann nicht vorübergehend sei, solange sie auf Dauer angelegt bzw. die Rückkehr des Arbeitnehmers nicht mehr beabsichtigt sei, was dann nur auf endgültige Versetzungen in das ausländische Unternehmen zutreffen dürfte.
Der Kern der Entscheidung besagt aber nun, dass durch den Abzug der Hypotax und die damit verbundene Nettolohnvereinbarung im Rahmen des Tax Equalization-Verfahrens der Anspruch auf den tariflichen Brutto-Tariflohn nicht erfüllt wurde und der klagende Arbeitnehmer daher Anspruch auf Nachzahlung der Tariflohndifferenz hatte.
Nach dem BAG erfüllt der Arbeitgeber einen Bruttolohnanspruch durch die Abführung der gesetzlichen bzw. nach den anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen einschlägigen Steuer, den einschlägigen Sozialversicherungsabgaben und durch die Auszahlung des restlichen Nettobetrags an den Arbeitnehmer.
Da der klagende Arbeitnehmer während seiner Entsendung nicht in Deutschland (lohn-)steuerpflichtig war, erfüllte der Arbeitgeber in Höhe der Hypotax dessen tariflichen Vergütungsanspruch nicht. Die einbehaltene hypothetische Steuer wurde von ihm nicht an den deutschen Fiskus abgeführt. Erfüllungswirkung konnte nur durch Zahlung der französischen Steuer bzw. durch die vereinbarten Erstattungen bei der jährlichen Nachberechnung der hypothetischen Steuer eintreten.
Soweit die Summe der ausgezahlten Nettobeträge, der Erstattungsleistungen sowie der tatsächlich abgeführten Sozialversicherungsbeiträge und der in Frankreich für den klagenden Arbeitnehmer entrichteten Lohnsteuer nicht das tarifliche Bruttoentgelt erreicht, konnte er daher weiter Zahlung von dem Arbeitgeber verlangen.
Nun werden im Rahmen von längeren Entsendungen regelmäßig bestimmte Zusatzzahlungen geleistet (z.B. Umzugspauschalen, Schulgeld, Kaufkraftausgleich, Mobilitätszulagen). Hier lag die Argumentation nahe, dass die Zahlungen auf den Tariflohn anzurechnen sind und der Tariflohnanspruch (über-)erfüllt worden ist.
Auch diese Argumentation hat das BAG aber abgelehnt. Denn der Bruttolohnanspruch könne nicht durch die Zahlung der im Entsendungsvertrag vereinbarten Leistungen und Zulagen für die Tätigkeit im Ausland erfüllt werden (im Streitfall Mobilitätszulage, Kaufkraftausgleich, Umzugskosten und Schulgeld). Hierbei handele es sich nämlich um selbständige Ansprüche, die nicht im inneren Zusammenhang mit dem für die "bloße" Arbeitsleistung geschuldeten Tariflohn stehen. Der Tariflohn dient als Gegenleistung für geleistete Arbeit, während die genannten entsendebedingten Zulagen primär den Mehraufwand des Arbeitsortwechsels entschädigen, ohne die Arbeitsleistung an sich zu vergüten.
3 Fazit - Praxishinweise
Die Entscheidung des BAG erfordert für tarifgebundene Unternehmen, die vorhandenen Entsendungspolicies auf ihre rechtliche Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, da ansonsten tarifgebundene Arbeitgeber Gefahr laufen, mit Klageforderungen der entsandten Arbeitnehmer konfrontiert zu werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmer ihre Gewerkschaftszugehörigkeit nicht offenbaren müssen, so dass tarifgebundene Arbeitgeber letztlich nicht rechtssicher feststellen können, welche Arbeitnehmer ihrerseits Mitglied in der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft sind.
Die Entscheidung wirkt sich zunächst allgemein für tarifgebundene Unternehmen und Arbeitnehmer dahingehend aus, dass ihre Tarifverträge regelmäßig umfassend (also nicht nur hinsichtlich des Tariflohns) auch bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit gelten und somit von diesen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden darf. Dies dürfte auch für Entsendungen im 2-Vertragsmodell gelten, d.h. ruhender deutscher Vertrag und lokaler ausländischer Vertrag, da der unmittelbar geltende Tarifvertrag und damit seine Ausstrahlung unabhängig von dem Arbeitsvertrag gilt.
Im Speziellen bedeutet sie für tarifgebundene Parteien, dass das Tax Equalization-Verfahren mit Hypotax-Abzug eventuell nicht den geschuldeten Tariflohn erfüllt. Dies wird praktisch besonders relevant bei Auslandsentsendungen in Niedrigsteuerländer.
Gerne beraten wir Sie hinsichtlich der Auswirkungen dieser Entscheidung für Ihre Auslandsentsendungen sowie Entsendepolicies und unterstützen bei entsprechenden Lösungsansätzen.