Der Gerichtshof der europäischen Union (EuGH) hat am 09.03.2023 in der Rechtssache C-571/21 über den Umfang der Steuerbefreiung von Strom zur Stromerzeugung entschieden.
Informationen zum Ausgangsverfahren und zur Zusammenfassung der Schlussanträge des Generalanwalts vom 13. Oktober 2022 finden Sie in unserem Newsletter Green Tax & Energy Ausgabe #1/ 2023.
Der EuGH urteilte über ein Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf, in welchem sich das Hauptzollamt Duisburg weigerte, der RWE Power AG die Steuerbefreiung auf Stromverbräuche in deren Tagebauen und Kraftwerken, zum Zwecke der Stromerzeugung, zu gewähren. Das FG Düsseldorf hatte beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96, soweit er bestimmt, dass Strom, der bei der Stromerzeugung verwendet wird, von der Steuer befreit wird, unter Berücksichtigung des Art. 21 Abs. 3 Satz 2 derselben Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass diese Befreiung auch Vorgänge umfasst, bei der Energieerzeugnisse im Tagebau gewonnen werden, in den Kraftwerken für den Einsatz in Kraftwerken geeigneter gemacht werden, wie Brechen, Abscheiden von Fremdteilen und ein Zerkleinern bis zu der im Kessel betriebsbedingt erforderlichen Größe?
2. Kann Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96, soweit er bestimmt, dass Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird, von der Steuer befreit wird, unter Berücksichtigung des Art. 21 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie 2003/96 dahin gehend ausgelegt werden, dass damit auch die Verwendung von Strom zum Betrieb von Bunkeranlagen und Transportmitteln, die für den dauerhaften Betrieb der Kraftwerke erforderlich sind, von der Steuer zu befreien ist?
Zur ersten Frage
Nach den Ausführungen des EuGH, ist nur eine Verwendung des Stroms, welcher unmittelbar zum technologischen Prozess der Stromerzeugung beiträgt, als steuerfrei nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96 anzusehen, wobei der Prozess der Herstellung eines Energiezwischenerzeugnisses davon ausgeschlossen ist.
Zudem kommt der EuGH zu dem Schluss, dass es bei einer Steuerbefreiung von Strom zur Förderung und für den Transport von Braunkohle zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen würde. Das Argument der Klägerin, dass ein Braunkohlekraftwerk mangels eines nationalen und internationalen
Liefermarkts für Braunkohle nur wirtschaftlich effizient betrieben werden könne, wenn es sich in der Nähe eines Tagebaus befinde, trifft in der Regel auf alle Betreiber von Braunkohlekraftwerken zu. Somit würde es bei Unternehmen, welche Braunkohlekraftwerke betreiben, die Braunkohle aber über Dritte erwerben, mit diesem Betriebsmodell zu einer ungleichen Belastung kommen.
Die erste Frage beurteilte der EuGH somit dahingehend, dass die dort benannte Richtlinie die Steuerbefreiung für „elektrischen Strom, der zur Stromerzeugung verwendet wird“, nicht den elektrischen Strom umfasst, der bei der Förderung eines Energieerzeugnisses wie Braunkohle im Tagebau verwendet wird, wenn dieser elektrische Strom nicht im Rahmen des technologischen Prozesses der Stromerzeugung, sondern zur Herstellung eines Energieerzeugnisses verwendet wird. Demgegenüber kann sich diese Steuerbefreiung auf die anschließende Umwandlung und Aufbereitung dieses Energieerzeugnisses in Kraftwerken zum Zwecke der Stromerzeugung erstrecken, wenn diese Vorgänge für den technologischen Prozess der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen.
Zur zweiten Frage
In diesem Punkt wird die Verwendung von elektrischem Strom zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, behandelt. Diese Verwendung kann vor- oder nachgelagert erfolgen.
Unter dem Vorbehalt der Prüfung durch das FG Düsseldorf könnte nach Ansicht des EuGH die Steuerbefreiung für die Stromverwendung gelten, die für den technologischen Prozess der ununterbrochenen Stromerzeugung unentbehrlich und diesem unmittelbar beitragend ist. Diese Voraussetzungen sieht das Gericht für den Betrieb der Braunkohle-Bunkeranlagen (Lagerung) im Kraftwerk und den Betrieb der Transportmittel im Kraftwerk als gegeben an. Die Stromverwendung zum Betrieb der Bunkeranlagen im Tagebau hingegen dient nicht zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses der Stromerzeugung, sondern eher dem Prozess der Braunkohleförderung und falle daher nicht mehr in den Anwendungsbereich der Stromsteuerbefreiung. Eine Prüfung des Sachverhalts durch das FG Düsseldorf steht aus.
Im Ergebnis hat der Gerichtshof entschieden, dass die Steuerbefreiung für Strom zur Stromerzeugung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 in Verbindung mit Art. 21 Absatz 3 der Richtlinie 2003/96 EG nicht greift für die Förderung von Braunkohle im Tagebau. Hier sieht das Gericht den unentbehrlichen und unmittelbaren Beitrag zum technologischen Prozess der Stromerzeugung als nicht gegeben an. Vielmehr handelt es sich um die Herstellung eines Energieerzeugnisses. Die Steuerbefreiung für Strom zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses zur Stromerzeugung sieht das Gericht für jene Stromverwendungen als gegeben an, die sowohl unentbehrlich und unmittelbar zum technologischen Stromerzeugungsprozess beitragend sind, als auch innerhalb des Kraftwerks stattfinden. Dem folgend erachtet der EuGH im vorliegenden Sachverhalt die Verwendung von elektrischem Strom für eine ununterbrochene Stromerzeugung innerhalb des Kraftwerks für die Braunkohlelagerung wie auch für den Betrieb der Transportmittel als stromsteuerbefreit im Sinne der Richtlinie an.
Auswirkungen
Es bleibt noch abzuwarten, wie das FG Düsseldorf die Aussagen des EuGHs auf den strittigen Sachverhalt anwendet. Dort wurde der Betrieb eines Braunkohlekraftwerks von der Kohlegewinnung bis zur Entsorgung von Abfallprodukten als einheitlicher Gesamtprozess dargestellt. Für den Tagebau scheidet die Steuerbefreiung wohl aus. Wohingegen alle wesentlichen Teilprozesse auf dem Kraftwerksgelände, mit Ausnahme der Verwaltung, in Bezug auf den technologischen Prozess der Stromerzeugung bzw. für die Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses elektrischen Strom zu erzeugen unentbehrlich und diesem unmittelbar beitragend erscheinen. Beispielsweise sind dies die Kohlelagerung und der -transport, die Umwandlung und Aufbereitung der Kohle in den Kohlemühlen oder auch die Rauchgasreinigung inkl. anschließender Entsorgung der Abfallprodukte (z. B. Schlacke, Asche, Gips). Ebenso dürfte demgemäß der Stromverbrauch in den Maschinentransformatoren für die Fähigkeit Strom zu erzeugen als technologisch unentbehrlich und unmittelbar zum technologischen Prozess beitragend gelten.
Handlungsempfehlung
Durch die Vorgaben des EuGHs wird die restriktive Auffassung der Generalzolldirektion (nachzulesen in deren Informationsschreiben zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom zur Stromerzeugung nach § 9 Absatz 1 Nummer 2 Stromsteuergesetz) in vielen Punkten nicht mehr zu halten sein. Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird in Frage gestellt (z. B. BFH-Urteil vom 30.4.2019 - VII R 10/18). Wir empfehlen sämtliche bisher der Stromsteuer unterliegenden Stromverbräuche in Kraftwerken und kleineren Stromerzeugungsanlagen zu überprüfen und für strittige Stromverbräuche die Stromsteuerveranlagung offen zu halten.