Die Regelung in § 8c S. 1 KStG a.F., wonach der Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft anteilig wegfällt, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % und bis zu 50 % der Anteile übertragen werden (schädlicher Beteiligungserwerb), ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar. Gleiches gilt für die wortlautidentische Regelung in § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in ihrer bis 31.12.2015 geltenden Fassung. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 29.03.2017 (2 BvL 6/11) entschieden (vgl. Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.05.2017). Es fehlt ein sachlich einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften je nachdem, ob ein solch schädlicher Beteiligungserwerb vorliegt oder nicht.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine im Jahr 2006 gegründete Kapitalgesellschaft mit zwei Gesellschaftern. Die Geschäftsjahre 2006 und 2007 schloss die Gesellschaft jeweils mit einem Verlust ab. Der festgestellte Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2007 betrug € 594.769. Im Jahr 2008 erwirtschaftete die Gesellschaft einen Gewinn, bevor sie am Ende dieses Jahres wegen der Kündigung eines Kooperationspartners ihre Liquidation beschloss. Während ihrer Tätigkeit zwischen 2006 und 2008 erlitt die Gesellschaft einen Gesamtverlust von € 588,24. Anfang 2008 hatte einer der beiden Gesellschafter aufgrund der Befürchtung, dass wegen einer gegen ihn gerichteten Schadensersatzforderung in seinen Geschäftsanteil an der Klägerin vollstreckt werden könnte, diesen Anteil an einen Dritten übertragen. Deshalb kürzte das Finanzamt bei der Körperschaftsteuerveranlagung der Gesellschaft für 2008 gemäß § 8c S. 1 KStG die zum 31.12.2007 verbleibenden Verluste um den prozentual auf diesen Gesellschafter entfallenden Anteil (im Streitfall 48 Prozent) und setzte die Körperschaftsteuer für das Jahr 2008 in Höhe von € 43.085 fest. Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren beim FG Hamburg erhobenen Klage berief sich die Klägerin auf die Verfassungswidrigkeit von § 8c KStG. Das FG Hamburg hat das Verfahren mit Beschluss vom 04.04.2011 (2 K 33/10) ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 8c S. 1 KStG zur Entscheidung vorgelegt.
Die Vorschrift hält schon einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand. Zwar ist das Ziel der Bekämpfung von legalen, jedoch unerwünschten Steuergestaltungen, insbesondere des Handels mit vortragsfähigen Verlusten (sogenannter Mantelkauf), ein legitimer Zweck, der Ungleichbehandlungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen kann. Allerdings sind die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten, wenn zur Erfassung solcher Gestaltungen allein an die Übertragung eines Anteils von mehr als 25 % angeknüpft wird. Dieser Umstand indiziert für sich genommen nicht eine missbräuchliche Gestaltung, weil es für die Übertragung einer derartigen Beteiligung an einer Verlustgesellschaft vielfältige Gründe geben kann, die nicht regelmäßig darin bestehen, die Verluste für ein anderes Unternehmen des neuen Anteilseigners nutzbar zu machen. Der Gesetzgeber hat damit keinen typischen Missbrauchsfall als Ausgangspunkt für die generalisierende Regelung gewählt. Vielmehr hat er eine abstrakte Missbrauchsgefahr zum Anlass für eine vom typischen Missbrauchsfall losgelöste und über diesen hinausgehende generelle Verlustnutzungsregelung für Körperschaften genommen.
Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändert und die in früherer Zeit erwirtschafteten Verluste unberücksichtigt bleiben sollen, soweit sie auf dieses neue wirtschaftliche Engagement entfallen. Der Vorschrift liegt der im Steuerrecht anerkannte Grundsatz zugrunde, dass beim steuerlichen Verlustabzug dasjenige Steuersubjekt, das den Verlustabzug nutzen möchte, mit demjenigen Steuersubjekt identisch sein muss, das den Verlust erlitten hat. Der Gesetzgeber hat jedoch die Grenzen seiner Typisierungsbefugnis überschritten, soweit er eine Änderung der wirtschaftlichen Identität allein mit der Voraussetzung definieren und normativ erfassen wollte, dass innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % und bis zu 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen werden. Zwar begründet der Erwerb einer solchen Beteiligung gesellschaftsrechtlich eine Sperrminorität. Diese erlaubt aber allenfalls mittelbar ein aktives Gestalten der Entscheidungen durch den Minderheitsgesellschafter. Nur eine Mehrheitsbeteiligung ermöglicht es dem Anteilserwerber, auf die Kapitalgesellschaft unmittelbar maßgebend Einfluss zu nehmen und die Verluste durch entsprechende unternehmerische Entscheidungen zu eigenen Zwecken zu nutzen.
Die Gründe, die zur Verfassungswidrigkeit von § 8c S. 1 KStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 führen, treffen auf die damit wortlautidentischen nachfolgenden Fassungen von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG bis zum Inkrafttreten des mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften vom 20.12.2016 eingefügten § 8d KStG ebenso zu. Auch die ergänzenden Regelungen zur Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 S. 5 KStG) und zur Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 S. 6 ff. KStG) ändern am Ergebnis nichts, weil der Grundtatbestand des § 8c Abs. 1 KStG nach wie vor auch Sachverhalte erfassen kann, die nicht als missbräuchlicher Verlusthandel qualifiziert werden können.
Ob durch Einführung von § 8d KStG mit Wirkung vom 01.01.2016 der Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in einer Weise reduziert worden ist, dass die Norm nunmehr den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG genügt, bedarf gesonderter Betrachtung. Sie ist deshalb nicht mehr ohne Weiteres aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar wie vor dem Inkrafttreten von § 8d KStG, so dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung über diesen Zeitpunkt hinaus nicht in Betracht kommt.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß durch Neuregelung bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung von § 8c S. 1 KStG zu beseitigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, tritt am 01.01.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens die Nichtigkeit von § 8c S. 1 KStG (jetzt § 8c Abs. 1 S. 1 KStG) ein.
Die verfahrensrechtlichen Folgen der Entscheidung in Bezug auf Altbescheide, bei denen § 8c S. 1 KStG (jetzt § 8c Abs. 1 S. 1 KStG) zur Anwendung kam, sind noch im Detail zu untersuchen. Im Rahmen von Einspruchs- und Klageverfahren sind die Fälle grundsätzlich vollständig offen. Etwas anderes gilt ggf. bei Änderungsbescheiden, die unanfechtbare Bescheide ändern (§ 351 AO). Im Übrigen ist eine Änderung des Bescheids in den Grenzen der Festsetzungsverjährung grundsätzlich möglich, wenn die Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung steht oder in diesem Punkt für vorläufig erklärt wurde. Auch eine Mitberücksichtigung als materieller Fehler im Rahmen anderer Änderungen ist in den Grenzen von § 177 AO möglich. Einer weiteren Klärung bedürfen jedoch die Folgen des Umstands, dass der Gesetzgeber eine rückwirkende Neuregelung erst noch schaffen soll und insofern deren Inhalt bis auf Weiteres ungewiss ist. In jedem Fall gilt es dem Eintreten etwaiger Festsetzungsverjährung zuvorzukommen, wo noch möglich.