Mit Urteil vom 26.02.2019 (I R 73/16, veröffentlicht am 15.05.2019) vollzog der BFH eine Kehrtwende und gab seine bisherige Rechtsprechung zur sog. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auf. Er entschied nunmehr, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA den Korrekturbereich von § 1 Abs. 1 AStG nicht auf Preisberichtigungen beschränke (sog. Sperrwirkung), vielmehr die steuerliche Korrektur auch der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder einer Teilwertabschreibung ermögliche. Der sog. Konzernrückhalt schließe bei einer betrieblich veranlassten Darlehensforderung eine gewinnmindernde Ausbuchung nicht aus.
Im konkreten Streitfall war eine inländische GmbH über ihre inländische Organgesellschaft an einer belgischen Kapitalgesellschaft (N.V.) beteiligt. Die inländische Organgesellschaft führte für ihre belgische Tochter ein verzinstes Verrechnungskonto. Sicherheiten musste die belgische Tochter nicht leisten. Beide Gesellschaften vereinbarten sodann hinsichtlich des wertlosen Teils der Forderung gegen die belgische N.V. einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein. Dieser Betrag wurde bei der inländischen Organgesellschaft gewinnmindernd ausgebucht. Das Finanzamt „neutralisierte“ diesen Betrag jedoch nach § 1 Abs. 1 AStG durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung.
Die Klage der inländischen GmbH hatte zunächst Erfolg. Das FG Düsseldorf ließ mit Urteil vom 12.11.2015 (6 K 2095/13 K) aufgrund der bisherigen BFH-Rechtsprechung keine außerbilanzielle Korrektur der gewinnmindernden Ausbuchung des Darlehens zu. Denn nach dieser Rechtsprechung ermöglicht der abkommensrechtliche Grundsatz des „dealing at arm’s length“ nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nur dann, wenn der vereinbarte Darlehenszins seiner Höhe nach dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhält (so BFH-Urteil vom 17.12.2014, I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, bestätigt durch BFH-Urteil vom 24.06.2015, I R 29/14, BStBl. II 2016, 258). Das widersprach der seinerzeitigen Verwaltungspraxis (BMF-Schreiben vom 29.03.2011, BStBl I 2011, 277), und diese Rechtsprechung wurde von der Finanzverwaltung nach wie vor nicht akzeptiert (BMF-Schreiben vom 30.03.2016, BStBl I 2016, 455; sog. Nichtanwendungserlass).
Im Verfahren über die (auf Beschwerde zugelassene) Revision schloss sich der BFH dieser Verwaltungspraxis nun vorbehaltlos an. Bei Vereinbarungen über die Darlehensbesicherung handele es sich um „Bedingungen“ im Sinne des Art. 9 DBA-Belgien. Bestätigung finde dies im Zweck von Art. 9 DBA-Belgien. Die Abkommensregelung ziele darauf ab, die Einkünfte bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen am Maßstab des vom Territorialitäts- und Veranlassungsprinzip getragenen Fremdvergleichs abzugrenzen und so die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie bei unabhängigen Unternehmen zu gewährleisten. Art. 9 Abs. 1 DBA-Belgien entfalte deswegen keine Sperrwirkung gegenüber § 1 Abs. 1 AStG. Von der bisherigen Beschränkung der Korrektur auf den vereinbarten Preis rückt der BFH ausdrücklich ab.
Im vorliegenden Sachverhalt bedeute das: Die gewinnmindernde Ausbuchung der Darlehensforderung unterliege in voller Höhe der Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG. Zum einen sei die fehlende Darlehensbesicherung eine Bedingung auch für die Geschäftsbeziehung im Sinne von § 1 Abs. 4 AStG zwischen der inländischen Organgesellschaft und der belgischen N.V. Zum anderen sei die Einkünfteminderung „im Sinne des Veranlassungsprinzips“ „durch“ die fehlende Besicherung eingetreten. Auch der „Topos“ des sog. Konzernrückhalts widerspreche dem nicht. Er bringe lediglich eine Konzernüblichkeit zum Ausdruck, keine Fremdüblichkeit, und sei nicht im Sinne einer „aktiven“ Einstandsverpflichtung für die Darlehnsschuld misszuverstehen.
Schließlich stehe das EuGH-Urteil in der Rechtssache Hornbach-Baumarkt einer Gewinnkorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nicht entgegen. Der EuGH belasse darin zwar die Möglichkeit, fremdunübliche Bedingungen im Konzerninteresse zu rechtfertigen. Doch sei es dem nationalen Gericht überantwortet, solche vorgebrachten Gründe abzuwägen. Bei einem Forderungsverzicht trügen solche Gründe für eine Abweichung der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte nicht.
Zur Sperrwirkung bzw. Nicht-Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA stehen noch einige Entscheidungen des BFH aus, in denen er die neuen Grundsätze konkretisieren wird. Das ergibt sich aus der zu dem Urteil I R 73/16 gegebenen Pressemitteilung (Pressemitteilung Nr. 29 vom 15.05.2019). Im Ergebnis dürfte die vorliegende Änderung der Rechtsprechung des BFH erhebliche Auswirkungen auf die Finanzierung ausländischer Tochtergesellschaften durch inländische Gesellschafter haben.
Unverändert beibehalten wird vom BFH lediglich die Rechtsprechung, wonach Sonderbedingungen in Form einer „klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung“, denen beherrschende Unternehmen im Rahmen der Einkommenskorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG unterworfen sind, nicht zu den Bedingungen i. S. des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gehören (so BFH-Urteil vom 11.10.2012 I R 75/11, BStBl II 2013, 1046).
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