Infolge der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln extrem angestiegen. Da zudem Hersteller und Zulieferer von den neuen Gesundheitsvorschriften (z. B. Schulschließungen, Quarantäne) betroffen sind, bestehen derzeit akute Versorgungsengpässe bei antiseptischen Erzeugnissen. Vor diesem Hintergrund steigen gegenwärtig vermehrt Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie in die Produktion von Desinfektionsmitteln ein.
Desinfektionsmittel fallen in der Regel nicht unter das Arzneimittelgesetz, sondern werden als Biozide eingestuft. Soweit Desinfektionsmittel auf Ethanolbasis hergestellt werden, gilt das Alkoholsteuergesetz. Die Rechtsfolgen hängen dabei von den zugesetzten Vergällungsmitteln ab.
MEK-vergälltes Ethanol unter allgemeiner Verwendererlaubnis
Zur Herstellung von Desinfektionsmitteln wird regelmäßig nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a AlkStV vergällter Alkohol eingesetzt. Dieser ist durch die Zugabe von 1,0 Liter Methylethylketon, bestehend aus 95 bis 96 Masseprozent Methylethylketon, 2,5 bis 3 Masseprozent Methylisopropylketon und 1,5 bis 2 Masseprozent Ethylisoamylketon (5-Methyl-3-heptanon), auf 100 Liter reinen Alkohol denaturiert. Dieses Ethanol kann grundsätzlich ohne Beantragung einer förmlichen Einzelerlaubnis im Rahmen der sogenannten allgemeinen Verwendererlaubnis nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG i.V.m. § 57 AlkStV zur Herstellung von Bioziden eingesetzt werden.
Beim Einsatz von Alkohol im Rahmen der allgemeinen Verwendererlaubnis sind insbesondere die folgenden möglichen Steuerentstehungstatbestände zu prüfen:
- Wiederholter Einsatz des Alkohols
- Wiedergewinnung des Alkohols, z.B. durch Destillation
- Entgällung des Alkohols
- Ab- oder Weitergabe des bezogenen Ethanols als Rohstoff, z.B. reines Umfüllen des Alkohols in kleinere Behälter vor dem Verkauf an Dritte, d.h. ohne Verarbeitung oder Zumischung weiter Stoffe
- Entsorgung alkoholhaltiger Abfälle
- Bezug / Verkauf des Alkohols aus dem/ins Ausland
Fiktive Erlaubnis bei Abgabe von unvergälltem Alkohol an Apotheken oder juristische Personen des öffentlichen Rechts
Vor dem Hintergrund des aktuellen Versorgungsengpasses hat die Zollverwaltung Apotheken ab 17.03.2020 und juristische Personen des öffentlichen Rechts ab 26.03.2020 zur Herstellung von Desinfektionsmitteln aus unvergälltem Alkohol berechtigt. Die Erlaubnisse nach § 28 AlkStG gelten als durch allgemeine Verfügung des Zolls fiktiv erteilt. Bezugsmengenbeschränkungen oder Beschränkungen hinsichtlich bestimmter Gebindegrößen o.ä. bestehen ebenso wenig, wie Beschränkungen hinsichtlich der Konzentration (Grädigkeit) des Alkohols.
Nachweis der Bezugsberechtigung
Zum Nachweis der Bezugsberechtigung ist die Betriebserlaubnis der Apotheke nach Apothekengesetz bzw. der Nachweis des die juristische Person des öffentlichen Rechts errichtenden Hoheitsakts, regelmäßig ein entsprechendes Gesetz, ausreichend. Die Hauptzollämter sind gebeten, abgebende Steuerlager bei der Klärung der Frage der Bezugsberechtigung zu unterstützen. Wir empfehlen, entsprechende Bestätigungen von den zuständigen Hauptzollämtern gegenzeichnen zu lassen, um auch im Fall einer späteren Prüfung des Sachverhalts nach der Corona-Pandemie von der Gültigkeit der fiktiven Verwendererlaubnis ausgehen zu können.
Lohnherstellung
Ausnahmsweise ist aktuell auch die Lohnherstellung von Desinfektionsmitteln im Auftrag von Apotheken oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts zulässig. Hersteller im alkoholsteuerrechtlichen Sinne ist in diesem Fall entgegen der ansonsten geltenden Grundsätze die jeweilige Apotheke oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Diese treten gegenüber den Lieferanten auch als bezugsberechtigte Besteller auf. Auch die unmittelbare Auslieferung an den Ort, an dem ein Lohnhersteller im Auftrag Desinfektionsmittel herstellt, ist derzeit zulässig.
Abwicklung im Papierverfahren: begleitendes Verwaltungsdokument (bVD)
Bei Beförderungen von Alkohol unter Steueraussetzung an fiktive Verwender hat der Steuerlagerinhaber als Versender ein begleitendes Verwaltungsdokument („Papierverfahren“) zu verwenden. Werden die formalen Anforderungen nicht berücksichtigt entsteht die Alkoholsteuer. Die Zollverwaltung hat hierzu den amtlichen Vordruck 2750 vorgesehen. Anstelle des Begleitdokuments kann auch ein Handelsdokument verwendet werden, das alle in dem Begleitdokument enthaltenen Angaben aufweist. Das Handelsdokument ist mit der Aufschrift „Begleitdokument für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung“ zu kennzeichnen.
Der Steuerlagerinhaber als Versender hat das Begleitdokument in vier Exemplaren auszufertigen. Die erste Ausfertigung verbleibt bei den eigenen Aufzeichnungen. Bei der Beförderung des Alkohols sind die Ausfertigungen zwei bis vier mitzuführen. Der Verwender hat die zweite Ausfertigung als Beleg zu seinen Aufzeichnungen zu nehmen. Die dritte und vierte Ausfertigung sind mit einem Empfangsvermerk des Versenders versehen dessen zuständigem Hauptzollamt vorzulegen. Dieses bestätigt die Übereinstimmung der beiden Ausfertigungen und die Empfangsberechtigung auf der dritten Ausfertigung (Rückschein). Der bestätigte Rückschein ist vom Verwender spätestens binnen zwei Wochen nach dem Empfang der Alkoholerzeugnisse an den Versender zurückzusenden. Dieser hat den Rückschein zu seinen Aufzeichnungen zu nehmen. Die vierte Ausfertigung verbleibt beim Hauptzollamt.
Verwendung und Export der hergestellten Desinfektionsmittel
Nachdem das Ethanol ordnungsgemäß zur Herstellung von Desinfektionsmittel eingesetzt wurde, sind die erzeugten Waren nach § 27 Abs. 2 Nr. 5 AlkStG von der Steuer befreit. Eine Verwendung des hergestellten Desinfektionsmittels im Inland oder ein Export führen nicht zur Alkoholsteuerentstehung. Voraussetzung ist, dass die hergestellten Waren auch zolltariflich als Desinfektionsmittel eingeordnet werden und nicht als Alkohol.