Der Bundesrat hat am 20.10.2023 seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) beschlossen (vgl. zum Regierungsentwurf TAX WEEKLY # 31/2023 und zum Referentenentwurf TAX WEEKLY # 26/2023).
Die Stellungnahme des Bundesrats fällt besonders umfangreich aus. In ihr kritisiert er mit Nachdruck, dass die Länder und Gemeinden mit zusammen rund 4,4 von 7 Mrd. € (volle Jahreswirkung) fast zwei Drittel der finanziellen Belastungen der geplanten steuerlichen Maßnahmen zu tragen haben. Der Bundesrat betrachtet besonders die Auswirkungen des Regierungsentwurfs auf das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen mit Sorge. Er weist darauf hin, dass einige der Maßnahmen zu hohen Steuermindereinnahmen führen und keine hinreichend zielgerichtete Anreizwirkung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum entfalten. Der Bundesrat hält es daher für dringend geboten, die Regelungen zu modifizieren. Da die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, damit das Gesetz beschlossen werden und in Kraft treten kann, geraten Bundestag und Bundesregierung durch die sehr deutliche Kritik des Bundesrats unter starken Druck, nicht nur unwesentliche „Änderungsempfehlungen“ zu übernehmen. Alternativ könnte eine finanzielle Kompensation auch durch andere, nicht steuerliche Maßnahmen erfolgen.
Der Stellungnahme des Bundesrats sind insbesondere folgende Forderungen zu entnehmen:
- Steuerliche Investitionsprämie für begünstigte Klimaschutz-Investitionen i.S.v. Energieeffizienz-Investitionen: Anstelle einer Umsetzung der Klimaschutz-Investitionsprämie (einer außersteuerlichen Subvention) durch die Finanzverwaltungen der Länder fordert der Bundesrat, diese als Zuwendung durch den Bund (z. B. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – BAFA) zu verwalten und aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Auch sei in Erwägung zu ziehen, ein Notifizierungsverfahren durchzuführen bzw. nachzuholen. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, vor allem im Interesse der in besonderem Maße unterstützungsbedürftigen kleinen und mittleren Unternehmen ein Konzept mit deutlich weniger Anforderungen an die Inanspruchnahme der Klimaschutz-Prämie auszuarbeiten und sodann notifizieren zu lassen. Der Bundesrat bittet darüber hinaus, vor dem Hintergrund europarechtlicher Bedenken im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Voraussetzung der Begünstigung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 KlimaInvPG in Bezug auf die Nutzung in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs des Anspruchsberechtigten zu überarbeiten ist.
- Verbesserung des steuerlichen Verlustabzugs: Der Bundesrat lehnt alle hierzu im Regierungsentwurf enthaltenen Regelungen ab. Begründet wird dies mit den damit verbundenen hohen Kosten, drohendem Gestaltungspotential und höherem Verwaltungsaufwand. Dies betrifft zum einen die Erweiterung des Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf drei Jahre sowie die dauerhafte Beibehaltung des Höchstbetrags von 10 Mio. € bzw. 20 Mio. € bei Zusammenveranlagung ab dem VZ 2024 (§ 10d EStG-E) und zum anderen bei der Mindestgewinnbesteuerung die temporäre (von 2024 bis 2027) Anhebung der Prozentgrenze von derzeit 60 % auf 80 % (§ 10d EStG-E und § 10a GewStG-E).
- Einführung einer Zinshöhenschranke (4l EStG-E): Der Bundesrat lehnt die im Regierungsentwurf enthaltene Regelung ab. § 4l EStG-E soll aber nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch eine besser geeignete Regelung ersetzt werden. Der Stellungnahme des Bundesrats sind in § 1 AStG mit Wirkung ab 2023 einzufügende Regelungen für grenzüberschreitende Finanzierungsbeziehungen (§ 1 Abs. 3d AStG-E) und Finanzierungsdienstleistungen (§ 1 Abs. 3e AStG-E) zu entnehmen, die den Fremdvergleich bei Finanzbeziehungen in Übereinstimmung mit dem Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien regeln sollen. Damit werde für grenzüberschreitende Finanzbeziehungen die Wirkung einer Zinshöhenschranke erzielt.
- Verbesserungen bei den Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter und den Abschreibungsmöglichkeiten zu den Sammelposten: Der Bundesrat begrüßt die Anhebung der Betragsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter von 800 € auf 1.000 €. Der Sammelposten (§ 6 Abs. 2a EStG), für den im Regierungsentwurf eine Anhebung der Betragsgrenze von 1.000 € auf 5.000 € und eine Absenkung der Auflösungsdauer auf drei Jahre vorgesehen ist, soll komplett abgeschafft werden.
- Verteilung von geleisteten Einzahlungen des Anteilseigners einer Kapitalgesellschaft: Der Bundesrat fordert zur Vermeidung von Gestaltungsmodellen auch für Gewinn- und Kapitaleinkünfte eine dem § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG entsprechende gesetzliche Regelung zur gleichmäßigen Verteilung von geleisteten Einzahlungen des Anteilseigners über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus auf seine gesamten Anteile an der Kapitalgesellschaft (inklusive etwaiger im Rahmen der Kapitaleinzahlung geschaffener neuer Anteile) und zwar auch dann, wenn diese zivilrechtlich nur auf einen Teil der Anteile des Anteilseigners geleistet werden. Die Forderung ist wohl als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 03.05.2023 (IX R 12/22) zu sehen. Danach hatte der BFH in § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG keine bloße Klarstellung erkennen können (vgl. TAX WEEKLY # 30/2023).
- Verdeckte Einlagen einer Mutterkapitalgesellschaft in eine Tochterkapitalgesellschaft: Der Bundesrat fordert zur Vermeidung von Gestaltungen eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG dergestalt, dass dann für innerhalb der letzten drei Jahre angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter (sog. junge Wirtschaftsgüter) der Ansatz mit den fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Konstellation Mutter-Tochter-Kapitalgesellschaft nicht mehr möglich wäre. Ansonsten könnten stille Reserven in „jungen Wirtschaftsgütern“ auf Tochtergesellschaften verlagert und die Anteile nach § 8c Abs. 2 KStG steuerfrei veräußert werden. Die Forderung ist eine Reaktion auf die BFH-Entscheidung vom 21.06.2021 (I R 32/17).
- Befristete Wiedereinführung der degressiven Abschreibung (§ 7 Abs. 2 Satz 1 EStG-E): Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob im Zuge der befristeten Wiedereinführung der degressiven Absetzung für Abnutzung (AfA) für bewegliche Wirtschaftsgüter der maßgebliche Faktor zur Bemessung („das Zweieinhalbfache des bei der Absetzung für Abnutzung in gleichen Jahresbeträgen in Betracht kommenden Prozentsatzes“) haushaltsverträglicher ausgestaltet werden kann.
- Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG: Als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 28.07.2021 (IX R 25/19) und um zu verhindern, dass daraus folgend jegliche Gutachten – auch durch Nicht-Sachverständige Personen oder einfache „Internetgutachten“ – als Nachweis genügen und der Ausnahmefall daher zur Regel wird, fordert der Bundesrat, die erforderlichen Kriterien für die Nachweisführung in § 11c Abs. 1a EStDV-E festzuschreiben. Zudem soll dem BMF die Möglichkeit eröffnet werden, im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder unter Beachtung der genannten Determinanten kürzere Nutzungsdauern durch BMF-Schreiben zu bestimmen.
- Anpassung der Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die verfassungsrechtlich notwendigen Gesetzesänderungen zur Vermeidung einer zukünftigen „doppelten Besteuerung“ von Renten aus der Basisversorgung einer nochmaligen sorgfältigen Prüfung unter Einbeziehung der Fachebene der Länder zu unterziehen und durch ein eigenständiges Gesetzgebungsverfahren umzusetzen.
- Maßnahmen zur Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG-E): Der Bundesrat fordert die Wiederaufnahme der Regelung aus dem Referentenentwurf, wonach ab dem VZ 2025 die Berücksichtigung der Thesaurierungsbegünstigung bereits im Vorauszahlungsverfahren möglich sein sollte. Darüber hinaus soll die lediglich klarstellende Änderung von § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EStG-E auch schon vor dem VZ 2025 Anwendung finden.
- Einkommensteuerbefreiung für Einnahmen aus Photovoltaikanlagen (§ 3 Nr. 72 EStG): Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob die in der Regelung des § 3 Nr. 72 EStG enthaltenen Größenmerkmale als Freibeträge in der Hinsicht gesetzlich ausgestaltet werden können, dass die Einnahmen und Entnahmen der Photovoltaikanlage(n) nicht steuerbefreit sind, deren Leistungsvermögen zur Grenzwertüberschreitung führt. So ließe sich der Fallbeileffekt vermeiden und damit die Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern erhöhen.
- Einführung einer Freigrenze für Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1.000 € ab dem 01.01.2024 (§ 3 Nr. 73 EStG-E): Der Bundesrat lehnt die Einführung der Freigrenze ab, da die Einnahmen in den für die Finanzämter aufwendigen Fällen regelmäßig über 1.000 € liegen.
- Vereinfachung der Lohnsteuerberechnung im Zusammenhang mit tarifermäßigt zu besteuerndem Arbeitslohn durch Abschaffung der sog. Fünftelregelung im Lohnsteuer-Abzugsverfahren ab dem 01.01.2024 (Aufhebung von § 39b Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG): Der Bundesrat fordert wegen des erheblichen Liquiditätsnachteils für betroffene Arbeitnehmer und mangels relevantem Beitrag zum Bürokratieabbau den Verzicht auf die Abschaffung der sog. Fünftelregelung im Lohnsteuer-Abzugsverfahren.
- Steigerung der Attraktivität der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG-E): In Entsprechung zum Formwechsel, der (nach dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG) für Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften sowie für eingetragene Gesellschaften bürgerlichen Rechts möglich ist, soll die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1a KStG auf diese Personengesellschaften begrenzt werden. Gestrichen werden soll aus dem Regierungsentwurf die Regelung, wonach die steuerneutrale Ausübung der Option nicht allein dadurch ausgeschlossen werden soll, dass Sonderbetriebsvermögen in Form einer funktional wesentlichen Beteiligung an einer Komplementärin einer optierenden Kommanditgesellschaft (i.d.R. eine zu Null Prozent beteiligte GmbH) nicht in die optierende Gesellschaft eingebracht wird. Diesbezüglich wird schon die Formulierung „Zurückbehaltung der Beteiligung“ kritisiert und eine Anpassung des BMF-Schreibens vom 10.11.2021 zu § 1a KStG als zielführender erachtet.
- Regelungen zur ertragsteuerlichen Organschaft: Der Bundesrat fordert, die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu negativen Einkünften eines Organträgers oder einer Organgesellschaft, die in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung berücksichtigt werden, zu streichen. Mit der Einführung von § 4k EStG durch das ATAD-Umsetzungsgesetz werde nunmehr bereits eine doppelte Berücksichtigung von Aufwendungen (§ 4k Abs. 4 EStG) verhindert.
- Einführung einer elektronischen Rechnungsstellung: Der Bundesrat spricht sich dafür aus, die Einführung der elektronischen Rechnung um zwei Jahre zu verschieben. Er ist der Auffassung, dass auch der Empfang von elektronischen Rechnungen erst ab dem 01.01.2027 verpflichtend sein sollte. Der Bundesrat hält es zudem für erforderlich, die Vorgaben zur elektronischen Rechnung so auszugestalten, dass auch bereits etablierte elektronische Rechnungsformate – eventuell mit Anpassungen – weiterhin genutzt werden können.
- Anpassung der AO und anderer Steuergesetze an das MoPeG: Der Bundesrat bekräftigt seine schon zum Regierungsentwurf des Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vorgebrachte Forderung, wonach über die bislang im Regierungsentwurf des Wachstumschancengesetzes hinterlegten Regelungen zum GrEStG hinaus – zumindest für die erforderliche Übergangszeit bis zur Entscheidung über das Grunderwerbsteuer-Novellierungsgesetz (GrEStNG) – an den Steuerbefreiungsvorschriften der §§ 5, 6, 7 GrEStG inhaltlich auch für Personengesellschaften festhalten werden soll (vgl. TAX WEEKLY # 34/2023).
- Stärkung der steuerlichen Forschungsförderung: Mangels überprüfbarer Kriterien hinsichtlich der ausschließlichen eigenbetrieblichen Verwendung im begünstigten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben fordert der Bundesrat, auf die Ausweitung der förderfähigen Aufwendungen auf für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben erforderliche und unerlässliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu verzichten.
- Sog. Spitzenausgleich im Energie- und Stromsteuerrecht: Der Bundesrat fordert, die gesetzlichen Grundlagen für eine Verlängerung des Spitzenausgleichs über den 31.12.2023 hinaus zu schaffen und entsprechende Freistellungsanzeigen bei der Kommission abzugeben.
- Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß: Der Bundesrat hält es zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie auch der Wirtschaft für unabdingbar, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß zu senken.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung bereits eine Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zur Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz und von Wärme über ein Wärmenetz beschlossen hat. Diese Regelung ist nach der aktuellen Gesetzeslage bis zum 31.03.2024 befristet, vgl. § 28 Abs. 5, 6 UStG, und soll aufgrund der gesunkenen Energiepreise nur noch bis zum 31.12.2023 Anwendung finden.
Es bleibt nun abzuwarten, ob und welche Forderungen über den Bundestag noch Eingang in den Gesetzentwurf finden. Die abschließende Beratung des Wachstumschancengesetzes im Finanzausschuss des Bundestags ist am 15.11.2023 geplant, bevor dann der Gesetzentwurf im Plenum des Bundestags am 17.11.2023 in 2./3. Lesung beschlossen werden soll. Der Bundesrat soll dann am 15.12.2023 über seine Zustimmung entscheiden. Da die Kritik bzw. die Forderungen des Bundesrats so umfangreich sind, erscheint die Zustimmung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und damit könnte auch noch ein Vermittlungsverfahren drohen. Dieses könnte dann voraussichtlich erst Anfang 2024 durchgeführt werden.