Green New Deal
Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 mit einem Green Deal vorantreiben. Schon der Begriff lässt erahnen, in welche Richtung damit gegangen werden soll. Politisch geprägt wurde die Redewendung durch die erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialreformen unter dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der damit auf, die Ende der 1920er Jahre einsetzende Weltwirtschaftskrise reagierte. Der amerikanische Journalist Thomas Friedmann machte im Jahr 2007 daraus den „Green New Deal“, der nun seit Anfang letzten Jahres in den USA zum geflügelten Begriff für eine grüne und soziale Politik wurde. Insbesondere der Demokrat Bernie Sanders, setzte den Begriff in Szene. Die Republikaner unter Donald Trump lehnten im März 2019 eine Expertenanhörung im Senat zu dem Thema ab und stilisierten mithilfe von Medien, wie Fox News, daraus einen Kampf gegen einen vermeintlich wirtschaftsfeindlichen Sozialismus als Gefährdung des Wohlstands.
Wachstumsstrategie
Nun bedient sich die EU-Kommission dieses Begriffs, wobei sowohl die soziale, als auch die wirtschaftliche Prägung zum Tragen kommen. Der European Green Deal wird als Wachstumsstrategie für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit bezeichnet. Die EU soll Weltmarktführer für saubere Produkte und Technologien werden. Investitionen in die Spitzenforschung und grüne Technologien sollen eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft erschaffen, die nicht nur den Schutz des natürlichen Lebensraums für Menschen, Tiere und Pflanzen sichert, sondern auch neue Arbeitsplätze entstehen lässt. Das internationale Umfeld soll mit einbezogen werden. Bereits im Vorfeld zur UN-Klimakonferenz COP25 in Madrid hatte die EU-Kommission per Resolution den Klimanotstand ausgerufen. Folgerichtig stellte nun die Kommissionspräsidentin beim Weltwirtschaftsforum in Davos den Green Deal vor.
Alle Wirtschaftssektoren betroffen
Alle Wirtschaftssektoren werden einbezogen. Die Dekarbonisierung des Energiesektors, der 75% der europäischen Treibhausgasemissionen ausmacht, ist einer der Arbeitsschwerpunkte. Aufgeworfen wird etwa die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe. Der Gebäudesektor ist für 40% des Energieverbrauchs verantwortlich. Energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren ist ein wichtiger Bereich. Der Mobilitätssektor, der 25% der Emissionen ausmacht soll umweltfreundlich, kostengünstig und sogar „gesünder“ werden. Aufgeworfen wird auch die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf den Seeverkehr, die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren und die Verringerung der dem Luftverkehr kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate. Die Industrie benutzt derzeit nur zu 12% recycelte Materialien. Auch das soll sich ändern, und dafür sollen Innovationen hin zu einer Kreislaufwirtschaft aktiv unterstützt werden.
Quelle: EU-Kommission
Finanzierung
Die Kommission will für die Umsetzung bis März 2020 einen Vorschlag für ein Klimagesetz vorlegen. Damit soll das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 verbindlich werden. In der Umsetzung befindet sich auch bereits die Finanzierung. Seit dem 14.01.2020 liegt ein Verordnungsvorschlag zur Einrichtung eines Fonds für einen gerechten Übergang, sowie einige Änderungsvorschläge für bestehende Fonds und deren Haushaltsvorschriften vor, darunter folgende Fonds:
- Fonds für regionale Entwicklungen
- Europäischer Sozialfonds Plus
- Kohäsionsfonds
- Europäischer Meeres- und Fischereifonds
- Asyl- und Migrationsfonds
- Fonds für innere Sicherheit und das Instrument für Grenzmanagement und Visa
Auch eine Überarbeitung des Forschungsfonds für Kohle und Stahl soll vorgeschlagen werden. Mindestens eine Billion Euro will die EU-Kommission für die Umsetzung des Green Deal mobilisieren.
Quelle: EU-Kommission
Fonds für einen gerechten Übergang
In den Fonds für einen gerechten Übergang bzw. den „Just Transition Fonds“ (JTF) steckt die EU 7,5 Mrd. Euro an finanziellen Mitteln. Mithilfe nationaler Ko-Finanzierung und Geldern aus dem Fonds für regionale Entwicklung und/oder dem Europäischen Sozialfonds Plus sollen diese auf 30 Mrd. aufgestockt und mithilfe von Investitionsanreizen schließlich die ca. 100 Mrd. erreichen. Kritisiert wird daran, dass kaum neue Mittel aufgewendet werden, sondern weitgehend darauf vertraut wird, dass die EU-Staaten und schließlich private Anleger den Großteil der Gelder aufbringen werden. Das Geld, das aus anderen EU-Fonds abgeleitet werden soll, wird zudem zu Einsparungen an anderer Stelle führen müssen. Konkrete Beispiele sind noch nicht bekannt.
Mit dem JTF soll vor allem die beschleunigte Einstellung von Energiegewinnung aus Stein- und Braunkohle kompensiert werden. Ausgehend von 7,5 Mrd. bis ca. 100 Mrd. sind davon 877 Millionen bis 13 Mrd. für Deutschland vorgesehen. Mit 2 bis 27 Mrd. räumt der Vorschlag Polen mehr als ein Viertel der Gelder ein. Deren Energieversorgung hängt zu 80% von der Kohle ab. Große Bezüge können ebenfalls Rumänien mit 757 Millionen bis 10 Mrd., Tschechien mit 581 Millionen bis 7,8 Mrd., Bulgarien mit 458 Millionen bis 6,2 Mrd., Frankreich mit 402 Millionen bis 5,8 Mrd. und Italien mit 364 Millionen bis 4,8 Mrd. erwarten.
Welche Gesetzesänderungen erwarten die Industrie?
Neben dem Ausstieg aus der Kohle ist eine CO2-neutrale Stahlproduktion bis 2030 geplant. Dafür soll auch das Beihilfenrecht angepasst werden. Nationale Subventionen, die die Dekarbonisierung oder Elektrifizierung von Produktionsprozessen unterstützen, sollen ermöglicht werden. Die Industrie wird auch anderweitig vielfältig betroffen sein. Es ist angekündigt, alle relevanten gesetzlichen Regelungen zu überprüfen: Ab Juni 2021 stehen die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die Energieeffizienzrichtlinie und die Richtlinie zum Emissionshandelssystem auf dem Prüfstand. Diese Richtlinien wurden gerade erst geändert. Dabei wurden die Klimaziele schon vor ihrer Änderung unter anderem von Deutschland nicht erreicht. Um das neue Ziel von 32% erneuerbarer Energien bis 2030 zu erfüllen, fehlt es in den Mitgliedsstaaten bisher an Maßnahmen. Geplant ist nun eine Anhebung auf 50% bis 55% für 2030. In Deutschland betrifft die Umsetzung dieser Richtlinien vor allem das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) und das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG).
Jüngst hat Vladis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, ins Gespräch gebracht, Ausnahmen und Subventionen für energieintensive Unternehmen abzuschaffen. In Deutschland könnte dies zum Beispiel die besondere Ausgleichsregelung nach §§ 63 ff. EEG 2017, den Spitzenausgleich nach § 10 StromStG und § 55 EnergieStG, die Strompreiskompensation und auch die Zuteilung von kostenlosen Emissionszertifikaten nach §§ 9 ff. TEHG betreffen.
Ein entsprechender Reformprozess von EU-Ebene aus dürfte Jahre in Anspruch nehmen. Bis März 2020 soll allerdings schon eine EU-Industriestrategie vorliegen. Ob diese bereits konkretere Ziele ausformulieren wird, ist offen. Eine Reform der Energiesteuerrichtlinie setzt zudem, wie bei aller unionsrechtlicher Steuergesetzgebung, die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat voraus. Das will die EU-Kommission nun ändern. Diese Diskussion dürfte für viel Zündstoff führen, da sie das gesamte Steuerrecht betrifft.
Im Gegenzug soll ein Grenzausgleich geschaffen werden (englisch: Carbon Border Adjustment), um eine Benachteiligung gegenüber Unternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland, die viel CO2 ausstoßen, zu vermeiden. Im Fall des sogenannten „Carbon Leakage“ verlagern Unternehmen ihre Produktion aufgrund der mit Klimaauflagen verbundenen Kosten in andere Länder mit weniger strengen Emissionsvorgaben. Diese Situation kann zu einem Anstieg ihrer Gesamtemissionen führen, wenn neue Produktionsstätten im nichtreglementierten Ausland in Betrieb genommen werden. Das Carbon-Leakage-Risiko kann in bestimmten energieintensiven Branchen stärker ausgeprägt sein.
Besondere Ausgleichsregelung nach EEG, stromsteuerlicher Spitzenausgleich, Strompreiskompensation und kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten auf dem Prüfstand
Wie genau der Grenzausgleich ausgestaltet werden soll, ist bisher noch unklar. Die Worte „Steuer“ oder „Zoll“ werden dabei bewusst ausgespart; stattdessen wird von einem „Aufschlag“ oder „Instrument“ gesprochen. Die neuen Regelungen müssen auch den Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens entsprechen (GATT), das zwischen allen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) gilt. Es darf dabei keine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung einzelner Staaten bestehen. Dass auf die Einhaltung dieser Regelungen ein besonderes Augenmerk gelegt wird, betonte der Vizepräsident der EU-Kommission bereits. Einen Vorschlag für ein solches Grenzausgleichssystem will die Kommission aber erst 2021 vorlegen.
Wir werden die Entwicklungen für Sie weiterhin im Auge behalten und über Änderungen und Konkretisierungen berichten.