In seinem aktuellen Urteil vom 13. Juli 2023 stellte der Europäische Gerichtshof (Az.: C-134/22) klar, dass ein Verstoß gegen die Mitteilungsverpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Agentur für Arbeit im Massenentlassungsverfahren gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, nicht zur Unwirksamkeit der darauffolgenden Kündigungen führt.
Ausgangssituation
Hintergrund der EuGH-Entscheidung war eine Vorlagefrage des BAG (Az.: 6 AZR 155/21 (A)). Im zugrundeliegenden Kündigungsschutzprozess hatte das BAG über die Wirksamkeit einer Kündigung nach einem durchgeführten Massenentlassungsverfahren zu entscheiden.
Die betroffene Arbeitgeberin hatte beschlossen, ihren Geschäftsbetrieb vollständig stillzulegen. In der Folge dieser Entscheidung nahm sie Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat auf, die zugleich der Durchführung des im Rahmen des Massenentlassungsverfahrens erforderlichen sogenannten „Konsultationsverfahren“ gem. § 17 Abs. 2 KSchG dienten. Arbeitgeberin und Betriebsrat einigten sich schließlich auf einen Interessenausgleich, ohne, dass die Arbeitgeberin zuvor entsprechend der gesetzlichen Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG der zuständigen Agentur für Arbeit eine Abschrift der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung zugeleitet hatte. Erst danach zeigte die Arbeitgeberin der Agentur für Arbeit die Massenentlassungen an (§ 17 Abs. 1 KSchG) und sprach im Anschluss die Entlassungen aus.
Ein von der Arbeitgeberin gekündigter Arbeitnehmer erhob sodann gegen eine solche Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage und machte geltend, die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung sei aufgrund der unterlassenen Mitteilung an die Agentur für Arbeit, und des damit einhergehenden Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 KSchG, unwirksam. Die Arbeitgeberin wandte sich mit der Begründung dagegen, die Mitteilung an die Agentur für Arbeit bezwecke nicht den Schutz der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer oder die Vermeidung von Entlassungen, so dass ein Verstoß die Unwirksamkeit der Kündigung nicht begründen könne.
Arbeitsrechtlicher Hintergrund
Das BAG stellte sich die Frage, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen die in § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG normierte Mitteilungspflicht nach sich ziehe. Nach § 17 Abs. 2 KSchG hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern zu entlassen, vorher dem Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens bestimmte Informationen über die geplanten Kündigungen zukommen zu lassen, insbesondere die Gründe der Entlassungen, die Anzahl und Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Entlassungszeiträume etc. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG muss er zugleich eine Abschrift dieser Mitteilungen der zuständigen Agentur für Arbeit übermitteln.
Da es sich bei § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG um die deutsche Umsetzung der Vorgaben der EU-Massenentlassungsrichtlinie handelt, aber weder (i) die Richtlinie, noch (ii) die deutsche Norm Fehlerfolgen bei Verstößen normieren, war aus Sicht des BAG der Schutzzweck der Übermittlung an die Agentur für Arbeit zu klären, insbesondere dahingehend, ob diese Arbeitnehmern Individualschutz verleiht.
Die Entscheidung des EuGH
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass der Übermittlung kein Individualschutz zukomme, sondern diese vielmehr der Information der Agentur über die bevorstehenden Kündigungen, sowie ihrer Vorbereitung auf eine erhöhte Anzahl Arbeitssuchender in Folge der Entlassungen diene. Folglich leite sich daraus kein Individualschutz für den einzelnen Arbeitnehmer ab, so dass dieser sich bei dabei unterlaufenden Fehlern nicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen könne.
Folgen für die Praxis
Fest steht nach der Entscheidung des EuGH, dass die fehlerhafte oder unterlassene Mitteilung im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der darauf folgenden Kündigungen führt. Diese Entscheidung war insofern naheliegend, als dass sich aus dem Wortlaut der Norm keinerlei Anhaltspunkte für einen damit bezweckten Individualschutz des einzelnen Arbeitnehmers ableiten lassen.
Überraschend ist die Entscheidung aber vor dem Hintergrund, dass das BAG bereits seit über zehn Jahren in nahezu allen Fällen, in denen es zu Verstößen gegen § 17 KSchG im Massenentlassungsverfahren kam, die Unwirksamkeit der jeweiligen Kündigungen annahm. Diese Rechtsfolge leitete das BAG stets aus § 17 KSchG in Verbindung mit § 134 BGB, unter Berücksichtigung der Wertungen der EU-Massenentlassungsrichtlinie, welche nach Ansicht des BAG maximalen Arbeitnehmerschutz bezwecke, ab. All diese Fälle bezogen sich aber auf Verstöße gegen § 17 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG.
Offen bleibt in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen sich aus anderen im Massenentlassungsverfahren unterlaufenden Fehlern künftig ergeben werden und ob die Rechtsprechung auch diesen keinen Individualschutz mehr zuerkennt. Da in § 17 KSchG hinsichtlich keiner der Vorgaben entsprechende Sanktionen normiert sind, bleiben entsprechende Folgeentscheidungen des BAG abzuwarten. Bis dahin empfiehlt sich für Arbeitgeber, die gesetzlichen Vorgaben des § 17 KSchG bei geplanten Massenentlassungen genau einzuhalten, um nicht die Unwirksamkeit der auszusprechenden Kündigungen zu riskieren.
