Ab dem 1. Januar 2026* beginnt für alle Steuerpflichtigen in Deutschland ein neues Kapitel der Steuerkommunikation: Die elektronische Bekanntgabe von Steuerbescheiden wird zum gesetzlichen Regelfall. Was bedeutet das konkret für Ihren Arbeitsalltag? Welche Chancen und Risiken ergeben sich? Und wie können Sie sich optimal vorbereiten? Dieser Artikel gibt Ihnen einen ersten umfassenden Überblick und praxisnahe Empfehlungen. (Update)
Der digitale Wandel als Chance
Die Einführung der elektronischen Steuerbescheide ab 2026 ist mehr als eine bloße technische Neuerung – sie ist ein Signal für einen umfassenden Wandel in der deutschen Steuerlandschaft. Unternehmen und Steuerberater stehen vor der Aufgabe, ihre gewohnten Abläufe zu überdenken und an die neuen digitalen Anforderungen anzupassen. Die Digitalisierung der Steuerverwaltung bietet die Chance, Prozesse zu verschlanken, Fehlerquellen zu minimieren und die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Steuerberatern und Finanzbehörden effizienter zu gestalten. Gleichzeitig verlangt sie aber auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, sich auf neue Routinen einzulassen. Wer diesen Wandel aktiv gestaltet, kann nicht nur Risiken vermeiden, sondern auch einen echten Mehrwert erzielen.
Die neue Realität: Was ändert sich im Detail?
Mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz wird § 122a der Abgabenordnung grundlegend reformiert. Ab dem 1. Januar 2026 werden Steuerbescheide, Steuermessbescheide und Feststellungsbescheide standardmäßig elektronisch im ELSTER-Nutzerkonto bereitgestellt. Die Frist für Einsprüche beginnt vier Tage nach der Bereitstellung zu laufen – unabhängig davon, ob der Bescheid tatsächlich abgerufen wurde. Diese scheinbar kleine Änderung hat weitreichende Folgen: Unternehmen müssen sicherstellen, dass das ELSTER-Postfach regelmäßig kontrolliert wird, da Fristversäumnisse zu finanziellen Nachteilen führen können. Die bisherige Zustimmungslösung wird durch eine Widerspruchslösung ersetzt: Wer weiterhin Papierbescheide erhalten möchte, muss der elektronischen Bekanntgabe aktiv widersprechen. Die Umstellung betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch Vereine, Privatpersonen und Steuerberater, die für Mandanten tätig sind. Die digitale Kommunikation mit dem Finanzamt wird damit zum neuen Standard und erfordert eine klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens.
Die Bedeutung für Unternehmen und Steuerberater
Für Unternehmen bedeutet die Umstellung, dass interne Prozesse und Verantwortlichkeiten neu definiert werden müssen. Es reicht nicht mehr aus, sich auf die klassische Postzustellung zu verlassen. Vielmehr muss festgelegt werden, wer für den Abruf der Bescheide zuständig ist, wie die Informationen intern weitergeleitet und archiviert werden und wie die Einhaltung von Fristen sichergestellt wird. Die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater gewinnt an Bedeutung: Nur mit einer aktuellen Vollmacht kann der Steuerberater die Bescheide im Namen des Unternehmens abrufen und fristgerecht reagieren. Steuerberater stehen vor der Herausforderung, ihre Mandanten umfassend zu informieren, sie bei der Umstellung zu begleiten und gemeinsam digitale Routinen zu etablieren. Die Vollmachtsdatenbank wird zum zentralen Werkzeug, um den Zugriff auf Bescheide zu regeln und die Zusammenarbeit effizient zu gestalten. Unternehmen, die diese Herausforderungen frühzeitig angehen, können die Digitalisierung als Chance nutzen, ihre Steuerprozesse zu modernisieren und Risiken zu minimieren.
Praxisnahe Beispiele: Erfolg und Risiko im Vergleich
Beispiel 1: Das digital aufgestellte Unternehmen
Ein international tätiges Unternehmen hat die Umstellung frühzeitig erkannt und alle Prozesse angepasst. Die Finanzabteilung erhält automatisierte Benachrichtigungen, prüft das ELSTER-Postfach täglich und dokumentiert jeden Abruf sorgfältig. Die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater ist klar geregelt, Fristen werden digital überwacht und Verantwortlichkeiten sind eindeutig zugewiesen. Das Ergebnis: Kein Bescheid bleibt unbeachtet, keine Frist wird versäumt, und die Digitalisierung wird zum echten Wettbewerbsvorteil. Die Mitarbeiter sind geschult, wissen um die Bedeutung der neuen Abläufe und können flexibel auf Veränderungen reagieren.
Beispiel 2: Das Unternehmen ohne digitale Routine
Ein mittelständischer Betrieb verlässt sich weiterhin auf Papierpost und prüft das ELSTER-Postfach nur sporadisch. Ein wichtiger Steuerbescheid wird übersehen, die Einspruchsfrist verstreicht. Erst bei der nächsten Betriebsprüfung fällt der Fehler auf – mit erheblichen finanziellen Folgen. Die Umstellung auf digitale Prozesse erfolgt erst nach diesem schmerzhaften Erlebnis. Die fehlende Routine führt zu Unsicherheit, erhöhtem Arbeitsaufwand und unnötigen Kosten.
Handlungsempfehlungen: So gelingt die Umstellung
- ELSTER-Konto aktivieren und regelmäßig prüfen: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Nutzerkonto stets erreichbar ist und die Zugangsdaten aktuell sind. Richten Sie Benachrichtigungen ein, um keine neuen Bescheide zu verpassen.
- Verantwortlichkeiten klar definieren: Legen Sie fest, wer für den Abruf, die Prüfung und die Archivierung der Bescheide zuständig ist. Erstellen Sie einen klaren Ablaufplan, der auch Vertretungsregelungen im Urlaubs- oder Krankheitsfall berücksichtigt.
- Digitale Fristenkontrolle etablieren: Nutzen Sie digitale Tools oder Kalender, um Fristen automatisch zu überwachen. Dokumentieren Sie den Abruf und die Bearbeitung der Bescheide, um im Zweifel nachweisen zu können, dass Fristen eingehalten wurden.
- Vollmachten aktuell halten: Hinterlegen Sie alle notwendigen Vollmachten in der Vollmachtsdatenbank, um den Steuerberater einzubinden und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.
- Mitarbeitende schulen: Sensibilisieren Sie Ihr Team für die neuen Abläufe und die Bedeutung der Fristen. Bieten Sie regelmäßige Schulungen an, um Unsicherheiten zu vermeiden und die Akzeptanz der neuen Prozesse zu erhöhen.
- Widerspruchsrecht prüfen: Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Steuerberater, ob Sie der elektronischen Bekanntgabe widersprechen möchten. Prüfen Sie, ob es für Ihr Unternehmen sinnvoll ist, weiterhin Papierbescheide zu erhalten.
Fristen und Verantwortung: Worauf Sie achten müssen
Die Frist für einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid beträgt in der Regel einen Monat ab Bekanntgabe. Da die Frist vier Tage nach Bereitstellung im Nutzerkonto beginnt, ist ein regelmäßiger Abruf unerlässlich. Die abrufberechtigte Person erhält eine elektronische Benachrichtigung – kann der Zugang nicht nachgewiesen werden, muss die Bekanntgabe wiederholt werden, ggf. in Papierform.
Tipp: Dokumentieren Sie den Abruf und die Bearbeitung der Bescheide sorgfältig, um im Zweifel nachweisen zu können, dass Fristen eingehalten wurden.
Besonderheiten: Grundsteuer und kommunale Bescheide
Nicht alle Bescheide werden digital zugestellt. Für Grundsteuerbescheide und viele kommunale Steuerbescheide bleibt die Zustellung per Post weiterhin bestehen. Hier ist es wichtig, die klassischen Posteingänge weiterhin sorgfältig zu kontrollieren und die Fristen im Blick zu behalten. Die parallele Verwaltung von digitalen und papierbasierten Bescheiden erfordert eine klare Organisation, um keine wichtigen Dokumente zu übersehen und alle Fristen einzuhalten.
Fazit: Die Zukunft aktiv gestalten
Die elektronische Bekanntgabe von Steuerbescheiden ist mehr als eine technische Neuerung – sie ist ein Aufruf zur aktiven Gestaltung der eigenen Prozesse. Wer die Umstellung als Chance begreift, kann von mehr Transparenz, Effizienz und Sicherheit profitieren. Unternehmen, die sich frühzeitig vorbereiten, ihre Abläufe anpassen und ihr Team schulen, werden die Digitalisierung als Motor für eine moderne, zukunftssichere Steuerorganisation nutzen können. Wer zögert, riskiert unnötige Fehler, Mehraufwand und ggf. finanzielle Nachteile.
Unser Tipp: Beginnen Sie jetzt mit der Vorbereitung, überprüfen Sie Ihre Abläufe und nutzen Sie die Digitalisierung als Motor für eine moderne, zukunftssichere Tax Compliance.
UPDATE
*Nach Redaktionsschluss erhaltene Meldung:
Am 13. November 2025 hat der Bundestag im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine Verschiebung der Neuregelung um ein Jahr angestrebt. § 122a Abs. 1 Satz 2 AO in der am 1. Januar 2026 geltenden Fassung ist demnach erstmalig auf Verwaltungsakte anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2026 erlassen worden sind. Begründet wird dies damit, dass allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden soll, sich mit angemessener Vorlaufzeit auf die Änderung der dann allgemein üblichen Bekanntgabeform (d. h. elektronisch durch Bereitstellung zum Datenabruf statt postalischer Bekanntgabe) einzustellen. Diese kurzfristige Verschiebung und dessen damit einhergehender Auswirkung auf den Steuerpflichtigen tritt erst nach dem abschließenden zweiten Durchgang im Bundesrat und der anschließenden Veröffentlichung in Kraft. Die zweite Abstimmung ist geplant für den 19. Dezember 2025.
Die Umstellung auf die elektronische Bekanntgabe ist ein komplexes Thema, das eine sorgfältige Vorbereitung und Anpassung Ihrer internen Abläufe erfordert. Nutzen Sie die gewonnene Zeit durch die mögliche Verschiebung und lassen Sie sich frühzeitig beraten, um optimal vorbereitet zu sein.