Anwendungen im Bereich FS Tax

Der Begriff Finanzindustrie umfasst als übergreifendes Synonym für die Geld- und Finanzbranche alle finanziellen Dienstleister. Also nicht nur Banken, Versicherungen, Fonds, usw. Ebenfalls gemeint sind geschäftsvermittelnde und -begleitende Intermediäre, Kontrollinstitutionen, Ratingagenturen und viele mehr.

Dreh- und Angelpunkt dieser monetären bzw. finanziellen Institutionen und Prozesse sind letztlich Daten. Die Finanzindustrie ist in ein dichtes regulatorisches Netzwerk eingebettet. Hierzu zählen auch die nationalen und internationalen Steuerbehörden. Diese bedienen sich der Finanzindustrie als Datenlieferant, fungieren als Kontrollinstanz und überantworten der Finanzindustrie substanzielle Steuerprozesse wie z. B. im Bereich der Kapitalertragsteuern.

Experteninterview

Was konkret siehst du, wenn du dir die Steuerfunktion der Zukunft im Unternehmen vorstellst? Wie kann diese künftig einen Mehrwert im Unternehmen generieren und wie werden die technologischen Innovationen deren Arbeit im Unternehmen in den nächsten Jahren verändern?

Die Steuerabteilung befindet sich aktuell in einem notwendigen Transformationsprozess. Dabei stellt sich aktuell die Frage: Sind die Steuerfachexperten überhaupt die richtigen Leute, um den Wandel voranzutreiben? Oder begleiten sie diesen eher nur am Rande? Denn hier sind vor allem Prozessfachleute gefragt, die wissen wie Abläufe gesteuert werden können. Diese Notwendigkeit zeigt sich auch an den Universitäten, wo eine neue Generation in einem Dreiklang aus Accounting, Programmierkenntnissen und Steuerfachwissen ausgebildet wird. In erster Linie um die Anforderung der Steuerabteilung der Zukunft abbilden zu können.

Dabei geht es im Bereich Financial Services nicht nur um die Frage der Optimierung von Prozessen mit ChatGPT und Prompts. Es geht auch um die Frage, welche neuen Geschäftsmodelle durch die KI entstehen werden und welche steuerlichen Anforderungen sich daraus entwickeln. Schon heute existieren viele Regulierungen wie z. B. DAC6, AML, ATAD oder CARF, durch die Daten abgefragt werden und die zu einer hohen Datengranularität führen. Hier liegt eine zentrale Aufgabe der Steuerfunktion der Zukunft. Sie muss die steuerlichen Daten mit Hilfe von KI sinnvoll in Datenmodellen abbilden und analysieren, um alle möglichen Stakeholder bedienen zu können. Zusammengefasst heißt das: Komplexität beherrschbar machen und mögliche Value-adds erschließen.

Für die Zukunft erwarte ich, dass die Bedeutung von KI im Bereich Financial Services noch viel stärker zunehmen wird. Dabei werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, die aus Compliance-Perspektive begleitet werden müssen und neue aufsichtsrechtliche Fragestellungen hervorrufen. Durch Tokenisierung von Digital Assets können weitere Komponenten wirtschaftlicher Wertschöpfungsprozesse monetarisiert und dem Finanzmarkt als neue Assetklasse zur Verfügung gestellt werden. Existierende Strukturen und Vertriebsmodelle sowie Anforderungen an Compliance werden sich dadurch komplett verändern.

Wie schätzt du den Mehrwert von KI mit Blick auf die vergangenen Jahre in deinem Bereich ein – also die Zeit vor der Ära der generativen KI?

Auch in der Vergangenheit gab es schon verschiedene KI-Projekte, meistens im Bereich des Machine Learning. Dabei ging es z. B. um die Optimierung von Aktiengewinnen oder die Nutzbarmachung von Verlusten, indem Finanzinstrumente eingesetzt oder Trade Patterns im Kontext von Quellensteuern analysiert werden. Der Umfang und die Komplexität der Datengrundlage ist dabei so groß, dass eine Analyse mittels Excel und Pivot-Tabellen fast nicht mehr möglich ist. Hier konnte man mit Hilfe der KI positive Resultate erzielen.

Ein anderes Beispiel für den Einsatz von KI war im Rahmen der Klassifizierung von Finanzinstrumenten für das Steuerrecht. Eine manuelle Analyse verursacht hierbei hohe Kosten, sodass man durch den Einsatz von KI sehr gute Erfahrungen machen konnte. Und auch für die Zukunft ist zu erwarten, dass die Klassifikation mittels KI sich weiter verbessern wird.

Wie schätzt du aktuell das Potenzial für KI in deinem Bereich ein und welchen Impact haben deiner Ansicht nach generative Sprachmodelle?

Die Nachfrage und das Interesse an KI ist aktuell sehr groß. Und alle haben gewisse Vorstellungen, was in der Zukunft noch passieren wird. Doch für konkrete Lösungen sehe ich bei vielen Mandanten derzeit noch eine gewisse Zurückhaltung. Hier wollen wir als Berater unsere Mandanten unterstützen, um Prioritäten herauszufinden und sie auf dem Weg der Entwicklung zu begleiten.

Und auch die Finanzverwaltung digitalisiert sich mehr und mehr. Wobei das Ausland tendenziell schon einen Schritt weiter ist als unsere heimische Finanzverwaltung. Hier ist es wichtig ein Netzwerk zu bilden mit anderen Serviceprovidern und Softwareentwicklern gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und diese auch mit der Finanzverwaltung zu teilen. Dabei braucht es nicht nur abstrakte Anwendungsmodelle, sondern vor allem greifbare Prototypen.

Bei welchen konkreten Prozessen in deinem Bereich siehst du aktuell das größte Potenzial zur Nutzung von KI, besonders im Hinblick auf aktuelle technologische Neuerungen wie bspw. generative Sprachmodelle?

Wenn im Bereich Financial Services Investoren aus unterschiedlichen Ländern über intermediäre Strukturen (z. B. Fonds) in ein breit gestreutes Asset-Universum aus unterschiedlichen Ländern investieren, dann bewirkt dies eine hohe steuerliche Komplexität. Was wäre zum Beispiel steuerlich zu beachten, wenn ein Investor aus Frankreich in ein Asset in Indien investiert? Hier kann KI eingesetzt werden, um solche komplexen Strukturen mit unterschiedlichen involvierten Ländern beherrschbar zu machen. Dabei geht es vor allem um die Verknüpfung von strukturierten Investitionsdaten mit regulatorischen und steuerlichen Anforderungen. Eine effiziente Durchführung solcher Analyseprozesse kann dabei einen spürbaren Mehrwert schaffen.

In Zukunft wird man ein Asset lediglich ins System eingeben und die KI gibt an, wie es für welchen Investor in welchen Ländern besteuert wird. Dabei ist davon auszugehen, dass Finanzinstitute ihren Anlegern diese Informationen in Zukunft automatisch zur Verfügung stellen müssen. In diesem Bereich haben wir mit der Tax Risk Radar Function bereits eine erste Lösung für Fondsgesellschaften aufgebaut. Hierbei wird geprüft, in welchen Ländern die Fonds investiert sind, wie dessen Assets zu klassifizieren sind und was sich daraus für Risiken in den einzelnen Ländern ergeben.

Vor dem Hintergrund der rasanten aktuellen Entwicklung der generativen Sprachmodelle und abhängig von deren Training mit Landesspezifika, kann dabei nicht mehr nur eine statische Analyse erfolgen, sondern zukünftig auch eine dynamische Analyse. Dabei führt die Verbindung von Transaktionsdaten mit juristischen und steuerrechtlichen Fragestellungen zu einem verbesserten Tax Risk Monitoring.

Worin bestehen aktuell die größten Herausforderungen, um das Potenzial von KI in deinem Bereich voll ausschöpfen zu können?

Die grundlegende Frage ist, ob man selber technologieaffin genug ist, um die neue Entwicklung sinnvoll begleiten zu können. Denn viele der KI-Modelle sind sehr mathematisch und formallastig, sodass man schnell an Grenzen stoßen kann. Heißt konkret: Man muss etwas vorantreiben, das man selbst vielleicht nicht zu 100% versteht. Dadurch können dann Akzeptanzprobleme auftreten, die eine erfolgreiche Einführung erschweren.

Angesichts der schnell voranschreitenden technologischen Innovation, wie müssen sich Steuerabteilungen aktuell aufstellen und welche unterstützende Rolle können Berater hier übernehmen?

In der Zukunft wird unwiderruflich ein „War of Talent“ stattfinden. Schon jetzt lernen Studenten an den Universitäten einen Mix aus IFRS-Kenntnissen, Programmierfähigkeiten und Steuerkenntnissen. Genau nach diesen Personen werden Unternehmen suchen. Doch die eigentliche Frage dabei wird sein: Welche Neugierde kann man bei Personen hervorrufen, damit sie sich für den Steuerbereich interessieren?

Aber auch bei den aktuell angestellten Mitarbeitern gibt es einige Personen mit großem Interesse an Weiterentwicklung. Diese Leute müssen gefördert werden, bspw. durch Kurse im Internet. Hier bestehen bereits zahlreiche Möglichkeiten, Zertifikate bei Microsoft, Google oder aws zu erwerben.

Wie der Berater erfolgreich unterstützen kann, zeigt das Beispiel der Betriebsprüfung. Hier zeigen Analysen mittlerweile schnell, wenn eine Steuerarbitrage stattgefunden hat. Dazu wird sich die Datentransparenz nach §42AO oder $39AO weiter zu Lasten des Steuerpflichtigen verschieben. Die eigentliche Kernaufgabe besteht also darin, die vielen Daten zu visualisieren und mit der Reproduktion von möglichen Analysen im Rahmen des Tax Risk Managements einen Mehrwert zu erzeugen.