Anwendungen im Bereich Tax CMS / steuerliches Risikomanagement (Steuer IKS)

Kernelement eines steuerlichen Risikomanagements bzw. Tax CMS ist die Etablierung eines Prozesses zur systematischen Identifikation und Bewertung von steuerlichen Risiken. Hierzu zählt auch die Implementierung entsprechender Maßnahmen zur Reduzierung der Risiken.

Sofern die steuerrelevanten Prozesse nicht ordnungsgemäß organisiert sind, kann es dazu kommen, dass die steuerlichen Pflichten eines Unternehmens nicht ordnungsgemäß erfüllt werden. Dies kann strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Zudem können sich persönliche Haftungsrisiken z. B. für Geschäftsführer, Vorstände oder Leiter von Steuerabteilung ergeben. Insbesondere die sehr komplexen und vielgestaltigen, regulatorischen Vorgaben, sich dynamisch verändernde Geschäftsmodelle sowie eine fortschreitende Digitalisierung sämtlicher Prozesse im Unternehmen stellen das steuerliche Risikomanagement vor große Herausforderungen.

Dazu kommt: Steuern betreffen nahezu jeden Prozess im Unternehmen, denn überall müssen steuerrelevante Entscheidungen gefällt werden. Insoweit beschränkt sich das steuerliche Risikomanagement bzw. Tax CMS nicht allein auf die Prozesse innerhalb der Steuerabteilung. Vielmehr muss es sich auf alle Prozesse bzw. Prozessschritte erstrecken, die eine steuerliche Relevanz haben können. Ein umfassend aufgebautes steuerliches Risikomanagement bzw. Tax CMS reduziert das Risiko von Fehlern und hat – sollten dann doch einmal Probleme auftreten – idealerweise eine enthaftende Wirkung. Damit schützt es die Verantwortlichen sowie die Mitarbeiter und am Ende das Unternehmen.

Experteninterview

Was konkret seht ihr, wenn ihr euch die Steuerfunktion der Zukunft im Unternehmen vorstellt? Wie kann diese künftig einen Mehrwert im Unternehmen generieren und wie werden die technologischen Innovationen deren Arbeit im Unternehmen in den nächsten Jahren verändern?

Die technologischen Entwicklungen werden auch die Stellung der Steuerfunktion im Unternehmen und ihre Arbeit verändern. In der Vergangenheit war die Steuerabteilung sehr stark retrospektiv tätig und hat bereits abgeschlossene Sachverhalte analysiert und z. B. für Zwecke der Steuererklärung verarbeitet. Das war oftmals eine sehr manuelle Arbeit. Diese Arbeitsweise funktioniert jedoch zunehmend dann nicht mehr, wenn sich der Rest des Unternehmens digitalisiert und die Prozesse immer automatisierter ablaufen.

Um sicherzustellen, dass die automatisierten Prozesse nahtlos und effizient sowie aus steuerlicher Sicht zutreffend ablaufen, muss sich die Steuerabteilung mit ihren (steuerlichen) Vorgaben in den Prozessen „verankern“, denn oftmals werden die steuerrelevanten Entscheidungen bereits am Anfang des Prozesses getroffen. Wenn dort etwas falsch läuft, weil z. B. ein Sachverhalt unzutreffend steuerlich gewürdigt wird, ist das Risiko hoch, dass sich dies am Ende in einer falschen Deklaration niederschlägt. Insoweit ist die Steuerabteilung bereits heute viel intensiver in die operativen oder administrativen Abläufe des Unternehmens eingebunden als in der Vergangenheit. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen.

Der sich verändernde Fokus hat natürlich auch Einfluss auf das Skillset der Mitarbeiter der Steuerabteilung: Prozess- und IT-Know-how werden sehr viel wichtiger und neben Steuerexperten wird die Steuerabteilung in der Zukunft vor allem aus IT-affinen Mitarbeitern bestehen, die z. B. über eine besondere Expertise im Bereich der Datenanalysen oder über eine umfassende SAP-Kenntnis verfügen.

Zudem wird die Arbeit innerhalb der Steuerabteilung zunehmend weniger nach Spezialisierungen als vielmehr entlang der unternehmensinternen Prozesse organisiert werden. Dies schafft dann auch die Grundlage für einen sinnvollen Einsatz von KI in den steuerrelevanten Prozessen.

Insoweit werden sich in der Zukunft viele Anwendungsmöglichkeiten von KI in allen Steuerbereichen ergeben, nicht nur um effizienter zu werden, sondern auch um die Compliance stärker zu unterstützen. Letzteres kann z. B. durch „intelligente“ Prüfroutinen erreicht werden, mittels derer Auffälligkeiten identifiziert werden.

Wie schätzt ihr den Mehrwert von KI mit Blick auf die vergangenen Jahre in eurem Bereich ein – also die Zeit vor der Ära der generativen KI?

Bei der Frage ist es wichtig einzuordnen, wie die KI in der Vergangenheit gesehen wurde. Im klassischen Tax CMS Bereich konnte man das Thema KI noch nicht so ganz einordnen. Insbesondere wurde KI bisher auch nicht in den übrigen Prozessen eingesetzt und sie wurde daher auch in unserem Bereich so gut wie nicht genutzt.

Was man in den vergangenen Jahren allerdings gesehen hat ist, dass sich viel in Richtung Automatisierung von Prozessen getan hat. So versucht man zum Beispiel über Process Mining die Ist-Prozesse zu analysieren und darüber auch steuerliche Risiken zu identifizieren anstatt diese manuell aufzunehmen.

Wie schätzt ihr aktuell das Potenzial für KI in eurem Bereich ein und welchen Impact haben eurer Ansicht nach generative Sprachmodelle?

Das Potenzial von KI im Bereich Tax CMS ist enorm. Zum einen kann KI uns im Rahmen der Analyse von Schwachstellen helfen; zum anderen bei der Analyse von fachlichen Themen z. B. zur Unterstützung von Entscheidungsmodellen. Insoweit kann KI dabei unterstützen, die Prozesse robuster und sicherer zu machen.

Darüber hinaus wird die KI auch einen Einfluss auf Betriebsprüfungen haben, da auch die Finanzverwaltung an neuen Methoden zur Analyse von Prozessen arbeitet. Dementsprechend kann die KI maßgeblich dazu beitragen, Prüfungsschwerpunkte zu identifizieren oder zu validieren. Dabei soll herausgefunden werden, inwiefern Feststellungen abgeholfen wurden, die in einer Vor-BP getroffen worden sind. Zudem wird bereits heute eine Vielzahl von Daten abgefragt, die bisher kaum ausgewertet werden. Dies wird sich mit Einsatz von KI sicherlich grundlegend ändern und darauf müssen sich die Unternehmen vorbereiten.

Bei welchen konkreten Prozessen in eurem Bereich seht ihr aktuell das größte Potenzial zur Nutzung von KI, besonders im Hinblick auf aktuelle technologische Neuerungen wie bspw. generative Sprachmodelle?

Grundlage eines Tax CMS ist die Identifikation der steuerlichen Risiken. Um diese zu ermitteln, müssen zunächst die Prozesse analysiert werden. Im Rahmen dieser Analyse wird man zukünftig verstärkt KI z. B. im Rahmen von Process Mining einsetzen. Zudem kann KI im Rahmen der Überwachung unterstützen. Denn, wenn die entsprechenden Risiko-mitigierenden Maßnahmen einmal definiert sind, müssen diese hinsichtlich ihrer Durchführung überwacht werden. D.h. es sind sinnvolle Kontrollen zu implementieren, die eine effiziente Überwachung ermöglichen. Auch dabei kann KI unterstützen, um z. B. Anomalien zu identifizieren. Diesen Anomalien kann dann gezielt nachgegangen werden.

Zudem kann KI helfen, andere Abteilungen, die steuerrelevante Sachverhalte beurteilen, jedoch nicht über das entsprechende steuerliche Know-how verfügen, im Rahmen der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Hier sehen wir ein großes Potential im Bereich der transaktionalen Steuern, wie der Lohnsteuer oder der Umsatzsteuer. Denkbar wäre z. B. der gezielte Einsatz von Chat Bots für die lohnsteuerliche Beurteilung von Sachzuwendungen oder die Einordnung von Verträgen im Zusammenhang mit Quellensteuern. Im Vergleich zu starren Entscheidungsbäumen oder gar Richtlinien kann KI hier zu einer wesentlichen Prozessverbesserung und damit insbesondere auch zu einer höheren Akzeptanz führen.

Ein weiterer möglicher Anwendungsfall für den Einsatz von KI im Rahmen von Tax CMS ist das „Legal monitoring“. Dabei ist ein System aufzusetzen, in dessen Rahmen rechtliche Änderungen und deren Einfluss auf die Prozesse analysiert werden. KI kann sowohl im Rahmen der Analyse als auch bei dem Erarbeiten von konkreten Maßnahmen unterstützen.

Worin bestehen aktuell die größten Herausforderungen, um das Potenzial von KI in eurem Bereich voll ausschöpfen zu können?

Neben dem großen Thema Datenschutz ergeben sich Herausforderungen vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen. Wenn zum Beispiel eine steuerliche Frage durch einen KI gestützten Entscheidungsbaum falsch beantwortet und damit steuerlich unzutreffend beurteilt wird: Wer trägt dann dafür die Verantwortung? Kann man sich enthaften, indem man sich auf die KI beruft?

Aber auch das Thema der Prozesstransparenz ist ein wichtiges Thema. Nur wenn man seine Prozesse kennt, kann man beurteilen wo z. B. KI unterstütze Entscheidungsbäume sinnvoll einsetzbar sind. Muss die Transparenz zunächst hergestellt werden, stellt dies eine hohe Hürde dar.

Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Dokumentation. Wenn eine KI genutzt wird, muss auch dokumentiert werden, wie es zu einer Entscheidung gekommen ist. Das muss im Zweifelsfall auch noch Jahre später im Rahmen einer Betriebsprüfung erläutert werden können.

Angesichts der schnell voranschreitenden technologischen Innovation, wie müssen sich Steuerabteilungen aktuell aufstellen und welche unterstützende Rolle können Berater hier übernehmen?

Wie bereits eingangs diskutiert, wird sich die Rolle einer Steuerabteilung weiter verändern. Dies hat Einfluss auf die Anforderungen, die an die Mitarbeiter in einer Steuerabteilung gestellt werden. Neben der steuerfachlichen Kompetenz, müssen diese vor allem eine grundsätzliche Prozess- und Technologieaffinität mitbringen.

Als Berater können wir die Steuerabteilung bzw. ihre Mitarbeiter im Rahmen des Veränderungsprozesses unterstützen, indem wir z. B. KI-unterstützte Anwendungsfälle entwickeln. Zudem könnte man darüber nachdenken, bestimmte Prozesse an Berater auszulagern. Wenn z. B. mehrere Unternehmen ihre Verträge im Hinblick auf Quellensteuerrelevanz von einem Berater mittels einer speziellen - KI-unterstützten - Software untersuchen lassen, könnte dies effizienter sein, als wenn eine solche Prüfung durch jedes Unternehmen selbst erfolgt.

Insoweit würde die KI mit größeren Datenmengen „gefüttert“ und könnte dadurch schneller trainiert werden. Als Berater hat man aber auch die Aufgabe, über Risiken und Nebenwirkungen eines KI-Einsatzes aufzuklären und aufzuzeigen, wo eine KI möglicherweise (noch) nicht sinnvoll eingesetzt werden kann. Zudem kann man als Berater dabei unterstützen, Regeln für den Einsatz von KI zu definieren z. B. im Zusammenhang mit den vorzunehmenden Qualitätssicherungen.