Anwendungen im Bereich Verrechnungspreise

Der Begriff Verrechnungspreis bezeichnet die monetäre Bewertung von Wirtschaftsgütern, die innerhalb einer Organisation zwischen selbstständigen Bereichen in unterschiedlichen Ländern ausgetauscht werden. Hierzu zählen sowohl materielle Güter wie z. B. Warenlieferungen als auch immaterielle Güter wie bspw. Lizenzen oder Nutzungsrechte. In der Regel können diese Leistungen nicht auf dem freien Markt erworben werden, weshalb zur korrekten Preisbestimmung verschiedene Verfahren zur Bewertung vergleichbarer Leistungen angewendet werden müssen. Von dieser Thematik sind besondere Konzerne mit organisatorisch getrennten Unternehmensbereichen bzw. unterschiedlichen Unternehmen betroffen. Ziel ist es, dass die Gesellschaften und Betriebsstätten in verschiedenen Ländern ihren jeweiligen Gewinn gesetzeskonform berechnen und versteuern.

Aufgrund gesetzlicher Regelungen sind Unternehmen dazu verpflichtet, eine ausführliche Dokumentation der angewendeten Methodik nachzuweisen, mit der sie ihre Verrechnungspreise ermitteln. Verstöße gegen diese Regelungen können zu hohen steuerlichen Nachzahlungen und Strafen führen. Für international agierende Konzerne können die Ausnutzung und Optimierung von Verrechnungspreisen einen hohen Einfluss auf die Gewinnermittlung und die Besteuerung haben. Gleiches gilt für das Konzernergebnis, das ebenfalls maßgeblich beeinflusst wird.

Experteninterview

Was konkret siehst du, wenn du dir die Steuerfunktion der Zukunft im Unternehmen vorstellst? Wie kann diese künftig einen Mehrwert im Unternehmen generieren und wie werden die technologischen Innovationen deren Arbeit im Unternehmen in den nächsten Jahren verändern?

In der Zukunft wird es nicht mehr nur ein Skillset in der Steuerabteilung geben, da gerade im TP-Bereich rein steuerliches Fachwissen längst nicht mehr ausreicht. Vielmehr braucht es auch ökonomisches Wissen, das passend zu den betriebswirtschaftlichen Hintergründen gefragt ist. Darüber hinaus hat man in den letzten Jahren gesehen, dass Technologie- und Prozessverständnis eine immer größere Rolle spielen.

Die Steuerfunktion wird in Zukunft mit wachsenden Compliance-Anforderungen konfrontiert werden. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, spielen Technologien zwar eine wichtige Rolle – allerdings keine Hauptrolle. Die zentrale Herausforderung und zugleich Kernfunktion der Steuerfunktion der Zukunft wird im Management des Qualifikationsmixes der Mitarbeiter liegen. Steuerabteilungen, die ausschließlich Steuerrechtler anstellen, werden in Zukunft nicht mehr funktionieren.

Ich gehe davon aus, dass die Arbeit durch technologische Innovationen in den kommenden Jahren eher erweitert wird anstatt reduziert zu werden. Begründen lässt sich diese Annahme durch die immer höheren Compliance-Erfordernisse und den Mangel an Technologieexpertise, die für einen großen Übersetzungsbedarf an dieser Schnittstelle sorgen werden. Bei Verrechnungspreisen wird es zukünftig einfacher Sollbruchstellen zu finden. Technologieaffine Betriebsprüfer werden schneller erkennen, sollte die Realität nicht mit der Dokumentation übereinstimmen. Um dem entgegenzuwirken, müssen Steuerabteilungen noch integrativer mit dem Business zusammenarbeiten.

Wie schätzt du den Mehrwert von KI mit Blick auf die vergangenen Jahre in deinem Bereich ein – also die Zeit vor der Ära der generativen KI?

Was KI-Anwendungen betrifft, kann man diese für die vergangenen Jahre in zwei Bereiche unterscheiden:

Zum einen wurden bereits für größere Themenbereiche KI Modelle selbst entwickelt, um vordefinierte Aufgaben zu bewältigen. Doch viele dieser Anwendungen befinden sich noch im Versuchsstatus und die Häufigkeit der Nutzung fiel bisher vergleichsweise gering aus. Auf der anderen Seite hat die KI bereits Einzug in die Arbeitswelt gehalten. So kamen in der breiten Masse verschiedenste, kleine Tools zum Einsatz und haben die Arbeit extrem erleichtert. Immer häufiger werden bspw. KI-gestützte Übersetzungsprogramme verwendet, anstatt Übersetzungsbüros zu beauftragen. Hier hat die Disruption also bereits stattgefunden.

Wie schätzt du aktuell das Potenzial für KI in eurem Bereich ein und welchen Impact haben deiner Ansicht nach generative Sprachmodelle?

Auch mit Blick auf die Gegenwart kann man zwei Ebenen unterscheiden: So wird KI in verschiedenen Anwendungen weiter in die Arbeit einfließen, ohne dass es der Nutzer groß bemerkt. Schon bald wird es zum normalen Alltag gehören, dass Texte von einer KI Texte Korrektur gelesen werden. Oder E-Mails formuliert und Excel-Formeln generiert. Auf der anderen Ebene wird KI die fachliche Arbeit inhaltlich prägen. So ist es durchaus möglich, dass im Verrechnungspreisbereich zukünftig hypothetische Fremdvergleiche mit vordefinierten Parametern von einer KI erstellt werden. Alternativ kann sie aber auch bei der Verteidigung in Betriebsprüfungen zur Anwendung kommen.

Auch Prüfer werden auf die Möglichkeiten von KI zurückgreifen um Verrechnungspreise zu kontrollieren und plausibilisieren. Ob diese Möglichkeiten insgesamt dabei helfen können, steuerliche Konflikte zu lösen oder doch eher für eine höhere Komplexität sorgen, bleibt noch abzuwarten. In Summe lässt sich jedenfalls jetzt schon festhalten, dass sich die Anwendungsmöglichkeiten von KI durch die aktuelle Entwicklung der generativen Sprachmodelle enorm gesteigert haben.

Bei welchen konkreten Prozessen in deinem Bereich siehst du aktuell das größte Potenzial zur Nutzung von KI, besonders im Hinblick auf aktuelle technologische Neuerungen wie bspw. generative Sprachmodelle?

Es ist davon auszugehen, dass KI überall im TP-Lebenszyklus eine relevante Rolle spielen wird. Was dazu führen wird, dass man in Zukunft nicht mehr von separaten Anwendungsfällen spricht. Doch wirft man einen Blick auf konkrete Bereiche, ist durch die generativen Sprachmodelle vor allem die Anwendung bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen interessanter geworden. Durch gezielte Prompts können hier Texte für Industrieanalysen und Unternehmensbeschreibungen relativ schnell und einfach erstellt werden.

Auch die Erstellung ganzer Local Files und Master Files auf Knopfdruck erscheint in Zukunft nicht mehr unrealistisch. Daneben kann die KI aber auch bei Betriebsprüfungen zum Einsatz kommen, um Argumente zu finden, Korrelationen aufzudecken und eine konzernweite Konsistenz bei der Beantwortung von Anfragen sicherzustellen. Nicht zu vergessen die Erstellung einer Fremdvergleichsanalyse als klassischen Anwendungsfall, der mit Hilfe von KI weiterhin relevant bleiben wird.

Doch neben der KI haben sich auch andere Technologielösungen wie z. B. die sogenannten Low-Code- bzw. No-Code-Lösungen stetig weiterentwickelt. So ist es mittlerweile deutlich schwerer geworden zu durchschauen, in welchen Anwendungen tatsächlich KI verwendet wird. Bereits jetzt haben viele Konzerne die Übersicht über lizensierte Tools und Lösungen verloren. Ein Zustand, der sich durch die neuen KI-Lösungen nur weiter verschärfen wird. Aufgrund dessen werden Berater in Zukunft auch immer häufiger eine Wegweiserfunktion übernehmen.

Worin bestehen aktuell die größten Herausforderungen, um das Potenzial von KI in deinem Bereich voll ausschöpfen zu können?

Die größte Herausforderung ist die Zeit. Denn die meisten Mandanten und Berater bedienen Compliance-Anforderungen aus dem Hier und Jetzt heraus, wodurch sie vollumfänglich ausgelastet sind. Hinzukommend wird es immer schwieriger, qualifiziertes Personal auf dem Arbeitsmarkt zu finden, um diese Themen weiter voranzutreiben. Datenschutz, Erklärbarkeit der Ergebnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter – das sind nur einige der Herausforderungen, die deutlich machen, warum das Thema integrative Technologienutzung eine strategische Priorität im Unternehmen und in der Steuerabteilung bekommen muss – auch und vor allem wegen der Einbeziehung von KI.

Doch abseits der großen DAX-Unternehmen ist man in einer Eieruhr gefangen. Zwar liefern neue Technologien viele Möglichkeiten, um die Arbeit effizienter und effektiver zu gestalten. Allerdings braucht es Zeit und entsprechende Kapazitäten, um diese zu implementieren. Das Bild hat sich im Vergleich zur Digitalisierung und Automatisierung ohne KI nicht geändert. Wenn man nie anfängt, kommt man auch nicht voran. Und wenn man nicht genug Fahrt aufnimmt, entwickeln sich Technologien schneller als man selbst überhaupt in die Umsetzung kommt.

Angesichts der schnell voranschreitenden technologischen Innovation, wie müssen sich Steuerabteilungen aktuell aufstellen und welche unterstützende Rolle können Berater hier übernehmen?

Hier sind zwei Punkte entscheidend: Zum einen müssen Steuerabteilungen einen größeren Fokus auf ein diverses Skillset ihrer Mitarbeiter legen und nicht nur z. B. Fachanwälte für Steuerrecht einstellen. Eine Tatsache, die auch abseits der KI-Entwicklung für Technologie an sich gültig ist. Personen mit Fachwissen aus dem Technologiebereich können als Katalysatoren innerhalb einer Abteilung fungieren, sofern sie von einem aktiven Change Management begleitet werden. Wenn hier Personen mit einem bestimmten Skillset kurz- oder mittelfristig fehlen, können wir als Berater aushelfen und Lücken mit den Unternehmen schließen, um den Wandel aktiv zu unterstützen.

Auf der anderen Seite ist es enorm wichtig, von Erfolgsgeschichten zu lernen und diese zu kopieren. So können sich Unternehmen mit anderen Betrieben aus der Region bzw. einer anderen Branche zusammenschließen, um sich über die Steuerabteilung hinaus untereinander auszutauschen. Was letztlich zu einer gegenseitigen Befruchtung führen und bei der individuellen Lösungsfindung unterstützen kann. Dabei ist es Aufgabe der Berater, die Unternehmen hierfür zu sensibilisieren und als Kontaktvermittler zu anderen Unternehmen aufzutreten. Wer hier am Markt starke Referenzen aufweisen kann, wird in diesem Bereich führend sein.